15.08.2012

Neu bauen statt sanieren?

Remus Grolle-Hüging mit Uwe Rotermund

Nachhaltigkeitsorientierte Machbarkeitsstudien für eine Schulimmobilie mit Lebenszykluskostenbetrachtung

Schulen im Bestand bedeuten für Kommunen und Schulträger eine große Herausforderung. Bei der Frage, wie mit bestehenden Immobilien umzugehen ist, leistet die Lebenszykluskostenbetrachtung einen wesentlichen Beitrag.

Heute haben Kommunen bei ihren Schulbauten einerseits umfangreiche Sanierungs- und Modernisierungsaufgaben zu schultern, andererseits erfordern sinkende Schülerzahlen grundsätzliche Entscheidungen, wie mit bestehenden Immobilien umzugehen ist.

Auf die demografische Entwicklung und den dadurch schwindenden Bedarf an Schulraum wird landespolitisch mit unterschiedlichen Konzepten reagiert.

Die verstärkte Hinwendung zu innovativen Lernmethoden und die Abkehr vom traditionellen Frontalunterricht hat veränderte räumliche Anforderungen zur Konsequenz. Mit den Schulklassen kombinierbare Gruppenräume sind heutzutage ebenso unabdingbar wie eine ausreichende Anzahl an Fachräumen. Hinzu kommt der Ganztagsbereich mit Angeboten ergänzend zum Unterricht und zur Förderung sportlicher sowie kreativer Entwicklungsprozesse. Neben diesen Betreuungsräumen benötigt eine Ganztagsschule auch eine Schulmensa und die zugehörige Infrastruktur.

Mit diesem grundlegend veränderten Raum- und Funktionsprogramm für Schulen lassen sich Immobilien der 1960er und 1970er Jahren heute nicht ohne Weiteres so nutzen, wie es für eine moderne Schule notwendig ist. Das gilt auch für die Bereiche der Technischen Gebäudeausrüstung und des Gebäudebetriebs: Nach nur 20 Minuten ist der CO2-Gehalt in einem Klassenraum bei geschlossenen Fenstern so hoch, dass die Konzentration der Schüler erheblich abnimmt. Eine intelligent gesteuerte Lüftungsanlage kann hier Abhilfe schaffen, ist bei Bestandsimmobilien aber insbesondere hinsichtlich der nicht vorhandenen notwendigen Raumhöhe oft nicht oder nur mit erheblichem Aufwand nachrüstbar.

Bestandsgebäude der Grundschule Bad Bentheim

Kostenanteil der Energie schwindet

Der Faktor Lebenszykluskosten als Teil der Gebäudekosten wird noch immer völlig unterschätzt. Oftmals werden – auch durch Fachkollegen – die Lebenszykluskosten mit den Energiekosten gleichgesetzt. Diese machen aber heute mit 8 bis 15 Prozent nur noch einen moderaten Anteil der Lebenszykluskosten aus.

Aufgrund der immer schärfer werdenden Anforderungen der EnEV sind hier weitere Reduzierungen zu erwarten. In Zeiten knapper Kassen und Budgets in den Kommunen ist die Optimierung aller Kostenarten wichtig. Mit der Entscheidung pro/contra eines Entwurfs werden die Nutzungskosten für die nächsten 30 bis 70 Jahre maßgeblich beeinflusst. Entscheidend dabei ist, dass ein Löwenanteil der Nutzungskosten fast nur in der Phase der Planung und Gebäudeerrichtung maßgeblich beeinflusst werden kann.

Nach der Errichtung eines Gebäudes sind nur noch höchstens 50 Prozent der Nutzungskosten beeinflussbar und optimierbar. Daher erscheint es unerlässlich, so früh wie möglich über die Kostenauswirkungen aller Faktoren nachzudenken. Die Kostenvergleichsrechnung der Lebenszykluskosten erfolgt auf Grundlage der sogenannten Barwertmethode. Der Barwert ist der Wert, den zukünftige Zahlungen in der Gegenwart besitzen, damit eine Vergleichbarkeit hergestellt werden kann. Er wird durch Abzinsung ermittelt.

Neubau oder Bestandssanierung?

Die Entscheidung, ob eine Bestandsimmobilie saniert wird oder ein Neubau, möglicherweise sogar an verändertem Standort, die bessere Lösung ist, hängt von vielen Rahmenbedingungen ab, die durch eine Bedarfsanalyse abgewogen werden müssen. Die Komplexität dieser Aufgabe ist jedoch insbesondere für kleine und mittlere Kommunen schon aufgrund der Personalsituation meist nicht lösbar. Hier empfiehlt es sich, einen externen Dienstleister mit einer Machbarkeitsstudie mit Lebenszykluskostenbetrachtung zu beauftragen, die als Grundlage für die Festlegung der weiteren Projektziele dient.

Im niedersächsischen Bad Bentheim sollten im Rahmen einer solchen Machbarkeitsstudie mögliche Optionen verglichen werden, um Politik und Verwaltung eine objektive Entscheidungsgrundlage für die Festlegung dieser Projektziele an die Hand zu geben. Die Kommune stand vor der Aufgabe, einen bestehenden Schulstandort zu verlagern und das Grundstück danach zu veräußern oder den Bestand zu sanieren. Das Budget war insbesondere für einen Neubau recht eng gefasst, gleiches galt für den Terminrahmen, der maßgeblich durch die Veräußerung des Grundstücks bestimmt war.

Um sich bei der Entscheidungsfindung nicht nur von den naheliegenden Aspekten der Erstinvestitionen leiten zu lassen, sollten zusätzlich die Lebenszykluskosten für einen nachhaltigen Betrieb über 30 Jahre berücksichtigt werden. Dabei waren sowohl die Investitionskosten als auch die Baunutzungskosten und Kapitalkosten einzubeziehen. Wichtig war aber auch die Untersuchung und Berücksichtigung pädagogischer und schulbetrieblicher Anforderungen.

Skizze zu den Synergieeffekten bei der Erstellung des Raum- und Funktionsprogramms

Machbarkeitsstudie in fünf Varianten

Zu untersuchen waren folgende Varianten: Unveränderter Zustand des Bestandsgebäudes, energetische Sanierung des Bestandsgebäudes sowie drei Neubauvarianten an einem anderen Standort. Für die Untersuchung wurde im Schritt 1 zunächst der Bestand hinsichtlich der vorhandenen Flächen und des Sanierungsbedarfs analysiert, um die notwendigen Grundlagen für den späteren Soll-Ist-Abgleich der Flächen und Kosten zu erhalten.

In Schritt 2 erstellten wir in intensiver Abstimmung mit den Nutzern ein Raum- und Funktionsprogramm für einen Neubau. Dabei wurde besonders darauf geachtet, den Flächenbedarf des Neubaus durch eine synergetische Mehrfachnutzung der Räume möglichst klein zu halten. Beispielsweise dienen die Fachräume so lange auch als Klassenräume, bis die Vierzügigkeit nach drei Jahren auf eine Dreizügigkeit zurückgeführt werden kann. Gruppenräume sind flexibel teilbar und können im Ganztagsbereich am Nachmittag auch als Betreuungsräume genutzt werden. Insgesamt konnte der Flächenbedarf durch diese Maßnahmen um 20 Prozent reduziert werden.

Schritt 3: Anschließend wurde das Grundstück für die Neubauvarianten untersucht. Dabei handelt es sich um das Gelände einer vorhandenen Schule. Entscheidend für diese Standortwahl war die Idee, Gebäude und Flächen je nach Bedarf künftig gemeinsam zu nutzen und dadurch flexibel auf schwankende Schülerzahlen und andere Veränderungen reagieren zu können. Soll zum Beispiel zukünftig sechs Jahre lang gemeinsam gelernt werden, lassen sich die sich daraus ergebenden Raumnutzungen variabel auf die unterschiedlichen Gebäude verteilen. Das Grundstück selbst ließ trotz Hanglage genügend Spielraum für unterschiedliche Varianten. Dabei wurde insbesondere der Verkehrsanbindung, der Erreichbarkeit mit dem Fahrrad sowie der Andienung durch Schulbusse Rechnung getragen. Für die Vergleichbarkeit der Kosten wurde weiterhin definiert, welche Teile des Areals in die Betrachtung einbezogen werden müssen. Das betraf nicht nur die künftigen Schulhofflächen, sondern auch den erforderlichen Abbruch eines auf dem Grundstück befindlichen Altbaus, der zukünftig nicht mehr benötigt wird.

Drei Neubauvarianten

Schritt 4: Auf dieser Basis wurden die Varianten für die Neubauten erarbeitet. Im Ergebnis blieben zwei dreigeschossige Varianten übrig: einmal mit Anbindung an die vorhandene Schule und einmal ohne Anbindung sowie eine zweigeschossige Variante. Den Nutzern war wichtig, die Räume um eine Multifunktionsfläche anzuordnen, auf der nicht nur Schulkonzerte oder Theateraufführungen stattfinden sollen, sondern auch gemeinsames Lernen durch Gruppenunterricht oder Hausaufgabenbetreuung möglich ist. Die anfängliche Skepsis gegenüber einer möglichen Dreigeschossigkeit des Gebäudes konnten wir mit einer Begrenzung des Luftraums auf maximal zwei Geschosse ausräumen.

Konzept der Nutzungsverteilung im Lageplan, hier zur Variante 4

Anteil der Kosten im Lebenszyklus für die Planungsvariante 4 (Integrierte Kostenarten) © Rotermund Ingenieure

Bei den Variantenuntersuchungen sollten die gestalterischen Aspekte zunächst weitestgehend unberücksichtigt bleiben, sofern sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den funktionalen Anforderungen der Nutzung stehen. Damit entstanden schematische Abbildungen des Raum- und Funktionsprogramms, um der Auftraggeberseite ein Gefühl für die entstehenden Volumina und die funktionalen Zusammenhänge zu geben. Die unterschiedlichen Positionen auf dem Grundstück hatten dabei natürlich auch unterschiedliche Anordnungen und Größen der Erschließungswege und Pausenflächen zur Folge. Zudem gab es unterschiedliche Szenarien für die notwendigen Abbruchmaßnahmen.

Ermittlung der Investitionskosten

Der 5. und letzte Schritt beinhaltete zunächst die Ermittlung der Investitionskosten, die später Bestandteil der Lebenszykluskostenberechnung wurden. In Variante 1 wurden keine Maßnahmen berücksichtigt. In Variante 2 wurden auf Basis des anfänglich ermittelten Sanierungsbedarfs die dafür notwendigen Kosten nach der Gewerkemethode berechnet. Die Kostenermittlung für die Neubauvarianten 3, 4 und 5 erfolgte auf Basis einer Mischung aus Flächenrichtwerten und Einzelbewertungen spezifischer Besonderheiten der jeweiligen Variante.

Ausgehend von den Investitionskosten war Variante 1 natürlich die günstigste, da gar keine Investitionen getätigt wurden. Variante 2 war zwischen 30 und 35 Prozent günstiger als die Neubauvarianten, von denen Variante 4 als kompakte dreigeschossige Gebäudeform ohne Anbindung an den Bestand mit 5,1 Millionen Euro brutto die günstigste war. Die Kostendifferenz zu den anderen Neubauvarianten lag bei circa 10 Prozent.

Ganz anders sah das Ergebnis nach Durchführung der Lebenszykluskostenberechnung aus. Zunächst wurden die Berechnungsmodelle für alle Varianten mit Eingangsdaten gefüllt. Bei der Betrachtung wurden die Abschreibungen der Bestandsgebäude, die Kosten für sofortige Sanierung beziehungsweise Neubau sowie deren Kapitalkosten und Abschreibungen, die im Betrachtungszeitraum anfallenden Sanierungskosten mit ihren Kapitalkosten, die Nutzungskosten und die sonstigen Kosten ermittelt. Auf der Erlösseite standen die Restwerte der Bestandsgebäude und Neubauten, Verkaufserlöse aus Grundstücksverkäufen, Finanzierungszuschüsse und entfallende Nutzungskosten wie zum Beispiel Hausmeisterkosten. Für alle Varianten wurden gleiche Annahmen hinsichtlich des Betrachtungszeitraums, der Nutzungsdauer der Gebäude, der Zinssätze für Kapitalkosten, des Diskontierungssatzes sowie der jährlichen Preissteigerung für alle Kostenarten zugrunde gelegt.

Neubauvarianten langfristig günstiger

Im Ergebnis waren sämtliche Neubauvarianten günstiger und besser nutzbar als eine Bestandssanierung oder ein Belassen des Ist-Zustands. Am günstigsten, zudem innerhalb des ambitionierten Finanzrahmens, war die Variante 4 mit 5,5 Millionen Euro brutto, die einen dreigeschossigen, kompakten Neubau ohne Anbindung an den Bestand vorsah und damit circa 17 Prozent günstiger war als die anderen beiden Neubauvarianten. Sie hat die geringsten Nutzungskosten, die geringsten zusätzlich zu erwartenden Sanierungskosten und dafür notwendigen Kapitalkosten und unter Annahme einer 30-jährigen Nutzungsdauer den höchsten verbleibenden Restwert.

Hinzu kommt der Verkaufserlös aus dem Verkauf des Bestandsgrundstücks, der aber allen drei Neubauvarianten ebenso zugute kam wie zusätzliche Mittel aus dem Konjunkturpaket II. Der Abstand zu den Varianten „nichts machen“ und „Energetische Sanierung“ betrug über 90 Prozent, was nahezu einer Verdoppelung der Kosten auf 10,5 Millionen Euro brutto gleich kommt.

Dieses Ergebnis wurde durch einige planerische Aspekte auch im Detail bestätigt: So kann der Neubau alle Anforderungen an eine moderne Schule hinsichtlich der Notwendigkeit einer Lüftungsanlage erfüllen. Zugleich erwies sich das Bestandsgebäude für das neue Raum- und Funktionsprogramm als viel zu groß und bot keinerlei Flexibilität für zukünftige Schulentwicklungen.

Der Rat der Stadt Bad Bentheim konnte somit seine Entscheidung zugunsten einer Zusammenlegung der Schulstandorte und der damit verbundenen Konsequenzen auf Grundlage einer fundierten Basis treffen und hat sich für den dreigeschossigen Neubau ohne Anbindung an den Bestand entschieden (Variante 4). Die dafür im Rahmen der Machbarkeitsstudie entwickelten Projektziele lagen den weiteren Vergabeverfahren für Architekten- und Ingenieurleistungen zugrunde und wurden mithilfe eines Projektmanagements konsequent bis zum Baustart weiter verfolgt. Im Juli 2011 wurde mit dem Neubau begonnen, zum Schuljahreswechsel 2012/13 soll die Schule eröffnet werden, 325 Kinder werden hier künftig unterrichtet.

Projektziele richtig festlegen

Das Beispiel veranschaulicht sehr gut die Erstellung einer Bedarfsermittlung und lässt sich uneingeschränkt auf andere Projekte übertragen.

Legt man die Projektziele am Anfang falsch fest, so dass Qualitäten, Kosten und Termine nicht zusammenpassen, leidet das Projekt in seiner gesamten Realisierungsphase darunter und die Beteiligten bemühen sich häufig vergeblich darum, diese Ziele zu erreichen. Um diesen Konflikt zu vermeiden und die Risiken auf ein Mindestmaß zu reduzieren, sollte sich jeder Bauherr in der „Phase 0“ am Anfang eines Projekts intensiv mit seinen Projektzielen beschäftigen und sich, falls erforderlich, umfassend beraten lassen.

Skizze des Schulneubaus entsprechend der Variante 4

Die neue Schule kurz vor ihrer Fertigstellung.

Ähnliche Projekte und Magazinthemen