15.08.2012

Generalplaner ermöglichte knappen Zeitplan

Der Umbau eines ehemaligen Lagerhauses zum neuen Stuttgarter Stadtarchiv gelang nur durch eng vernetzte Zusammenarbeit zahlreicher Ingenieurdisziplinen

Welche Erfahrungen macht ein öffentlicher Bauherr mit einem generalplanerisch arbeitenden Planungsbüro, und welche Vorzüge sieht er in der Generalplanerleistung für das Projekt selbst?  Wir sprachen mit Dipl.-Ing. Matthias Bertram, Leiter der Abteilung Stadterneuerung und Bodenordnung beim Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung der Stadt Stuttgart, Bauherrenvertreter bei der von agn durchgeführten Planung des neuen Stadtarchivs in Stuttgart, Bad Cannstatt.

Was waren die besonderen Herausforderungen bei diesem Projekt, der Planung des neuen Stadtarchivs in Bad Cannstatt?

Das Stuttgarter Stadtarchiv war früher in der Stuttgarter Innenstadt an verschiedenen Standorten untergebracht, so z. B. der Lesesaal in einem ehemaligen Büchereigebäude und das Archivmagazin in einer benachbarten, ehemaligen Druckerei. Zusätzlich mietete die Stadt weitere Räume in der Nachbarschaft an. Diese Zersplitterung des Archivs bot keine fachgerechte und nachhaltige Perspektive.

Als schließlich im Jahr 2004 ein großer Versicherungskonzern mit Erweiterungsabsichten an die Stadt herantrat, die auch das Magazingebäudes des Stadtarchivs umfassten, nahm unser Oberbürgermeister dies zum Anlass, zusammen mit dem Archivleiter nach einem neuen Standort für das Stuttgarter Stadtarchiv zu suchen, an dem sämtliche Einrichtungen zusammengefasst werden können. Fündig wurde man am Bellingweg 21 im Stadtteil Bad Cannstatt, wo die Stadt bereits im Jahr 2002 ein untergenutztes Lagerhausensemble erworben hatte, um hier langfristig eine geordnete städtebauliche Entwicklung sicherzustellen. Natürlich wäre ein Neubau „auf der grünen Wiese“ einfacher und günstiger gewesen. Doch im Stuttgarter Talkessel gibt es fast keine leeren Flächen mehr, die sich geeignet hätten. Die Entscheidung, das teilweise denkmalgeschützte Bad Cannstatter Lagerhausensemble zu sanieren und umzunutzen, hatte mehrere Vorteile: Es bedeutete eine sinnvolle und attraktive Nutzung des erhaltenswerten Industriedenkmals. Zugleich bot es dem Stadtarchiv einen besonderen Rahmen und die Möglichkeit, erstmals alle Abteilungen und Funktionen an einem zentralen Standort zusammenzuführen. Der Grundsatzbeschluss durch den Gemeinderat wurde dann auf Basis der Realisierungsstudie eines hiesigen Ingenieurbüros getroffen. Mit dieser Studie wurde der Nachweis erbracht, dass das Raumprogramm im vorhandenen Bestand untergebracht werden kann.

Warum haben Sie sich für einen Generalplaner entschieden?

Dafür gab es drei praktische Gründe: Der Hauptgrund war ein ausgesprochen enger Zeitplan, da der Versicherungskonzern, der das Stuttgarter Grundstück gekauft hatte, selbst anfangen wollte zu bauen. Ursprünglich gingen wir sogar von nur dreieinhalb Jahren Planungs- und Bauzeit aus. Um ein so großes Projekt mit derart vielen Ingenieurdisziplinen in so kurzer Zeit zu planen und umzusetzen, musste der Koordinationsaufwand minimiert werden. Aus diesem Grund wurde uns vonseiten des Büros, das die Realisierungsstudie erstellt hatte, zur Beauftragung eines Generalplaners geraten.


Ein weiterer Grund war die vom Gemeinderat geforderte Kostensicherheit. So bestand der Wunsch, die Planer bei der Einhaltung des vorgegebenen Kostenrahmens finanziell in die Pflicht zu nehmen. Dies wiederum ist nur dann rechtssicher möglich, wenn die Verantwortlichkeiten klar zugeordnet sind. Auch vor diesem Hintergrund war die Beauftragung eines Generalplaners geboten, da bei nur einem Planungsverantwortlichen die Zuständigkeiten schnell geklärt sind. Die Einbeziehung des Generalplaners in die Kostenverantwortung fand dann im Rahmen des Generalplanervertrags über eine Bonus-Malus-Regelung statt. Da wir nach derzeitigem Stand von einer finanziellen Punktlandung ausgehen, wird die Regelung aller Voraussicht nach nicht zum Tragen kommen.


Als letzter Grund wäre noch das zeitaufwändige VOF-Verfahren zu nennen. Auch hier konnte mittels Vergabe an einen Generalplaner der Aufwand minimiert werden, da nur ein Verfahren notwendig war. Dass hierdurch auch das Risiko von Planungsverzögerung in Folge möglicher Nachprüfverfahren minimiert wurde, sei nur am Rande erwähnt.

Lesesaal des Stadtarchiv Stuttgart, Bad Cannstatt

Welche besonderen Vorteile lagen aus Sicht der Stadt in der Beauftragung eines Generalplaners?

Über die bereits vorab genannten hinaus zunächst keine. Diese zeigten sich erst im Verlauf des VOF-Verfahrens und während des Planungsprozesses. In den weiteren Planungs- und Bauphasen offenbarten sich nämlich erhebliche Mängel des Bestands, die das Projekt verzögerten und den ohnehin engen Zeitplan weiter verdichteten. Ohne den Generalplaner und ohne eine Verlängerung der Bauzeit um ein Jahr hätten wir es nicht so gut geschafft.

Allerdings sei in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass die Förderung des regionalen Mittelstands gerade in Baden-Württemberg die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs bildet. Vor diesem Hintergrund wird die gesonderte Beauftragung einzelner Fachdisziplinen daher auch künftig den Regelfall darstellen. Auch in der Auslobung für das Stadtarchiv wurde explizit Wert auf Regionalität und Mittelstandsförderung gelegt.

Ein weiterer ausschlaggebender Grund für die Auftragsvergabe an agn waren finanzielle Aspekte. So war es agn als einzigem Wettbewerber möglich, die im Rahmen der Generalplanung mit ausgeschriebenen Projektsteuererleistungen kostenfrei anzubieten. Das liegt daran, dass auch nur agn sämtliche Ingenieurleistungen mit eigenem Personal anbieten konnte und keine Subplaner koordinieren musste. Anders gesagt: Durch die Vergabe an agn haben wir die Kosten für einen Projektsteuerer eingespart.

Welche besonderen Kompetenzen waren Ihnenwichtig?

Das mehrstufige VOF-Verfahren spiegelte unsere Prioritäten gut wider: In der ersten Stufe, dem so genannten Auswahlverfahren, verlangte die Stadt Stuttgart umfangreiche und aussagefähige Referenzen. Uns war besonders wichtig, dass der Planer Erfahrungen im Archivbau hatte.

Im Einzelnen erforderte das Erfahrungen im Bereich der Arbeitsabläufe, etwa zu der Frage: Wie gelangt das Archivgut auf kurzem Weg zum Nutzer, und wie und wo darf er esnutzen (Lesesäle, Lesemedien wie Mikrofilm und Leuchttische)? Des Weiteren galt es, die Arbeitsstättenrichtlinie zu beachten, denn das Archiv ist natürlich auch Arbeitsplatz. Wichtig waren außerdem Brandschutz und Einbruchschutz, denn in einem Archiv lagern wertvolle, unersetzliche Unikate.

Ein ganz besonderes Thema war die Klimatisierung. Hier gab es von Bauherrenseite Vorgaben zum Umweltschutz. Das für dieses Thema zuständige Fachamt favorisierte eine wassergestützte Klimatisierung. Das Archiv wollte bei der Klimatisierung vollständig auf Wasser verzichten und forderte eine luftgestützte Konzeption, um die Gefahr einer Schädigung von Archivgütern bei eventuellen Undichtigkeiten im System auszuschließen; der Gemeinderat schließlich hatte für das Thema Energie und Klimatisierung den Wunsch nach einer „innovativen Idee“ formuliert. Unser Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung musste dann als Bauherrenvertreter zwischen all diesen Anforderungen vermitteln und nach einer für alle tragbaren Lösung suchen. Dank des agn-Vorschlags eines Eisspeichers konnten wir diesem Wunsch auch entsprechen. Die Idee des Eisspeichers bildete nicht nur eine Alternative zur wassergestützten Klimatisierung, sondern reduzierte auch noch den CO2-Ausstoß um 25 bis 30 Prozent gegenüber einer konventionellen luftgestützten Anlage.

Dass die Idee überhaupt entstand, hängt eng mit der Tatsache zusammen, dass die Fachingenieure bei agn eben Teil eines Generalplanerteams sind und während des ganzen Planungsprozesses kontinuierlich miteinander und mit den Architekten kooperiert haben. Denn das individuelle Lösungskonzept Eisspeicher wurde ja erst während des Planungsprozesses entwickelt. So etwas ist fast undenkbar bei einer herkömmlichen Einzelvergabeplanung.

Wie hat sich die praktische Zusammenarbeit mit dem Generalplaner für Sie dargestellt?

Es war deutlich einfacher als bei herkömmlichen Beauftragungen. Ein Beispiel: Bei Planungsbesprechungen mussten wir als Bauherr nur eine Partei einladen, den Generalplaner. Agn hatte dann zu entscheiden, wer von den Fachingenieuren zu diesem Zeitpunkt dazugeladen werden musste. Üblicherweise müssen wir oder ein gesondert beauftragter Projektsteuerer diese Entscheidung treffen und jeweils alle Beteiligten einladen.

Auch bei Problemen gab es immer nur einen, den wir anrufen mussten. Und dieser konnte nicht auf Dritte verweisen, sondern musste das intern weitergeben. Zum Beispiel gab es ein Problem mit der Schiebetür am Haupteingang, das mehrere Disziplinen betraf. Bei unabhängig arbeitenden Fachingenieuren wird so etwas gerne von Person zu Person bzw. von Firma zu Firma gereicht und die Verantwortung hin- und hergeschoben. Hier hatten wir nur einen Gesprächspartner. agn kümmerte sich dann um die genaue interne Zuordnung und Lösung. Sämtliche übergeordneten Koordinierungsaufgaben, die normalerweise in der Verantwortung des Bauherrn oder bei einem von diesem extra beauftragten Projektsteuerer liegen, wurden von agn mit abgedeckt.

Würden Sie bei einem ähnlichen Vorhaben wieder einen Generalplaner beauftragen?

Bei sehr komplexen Projekten, die in kurzer Zeit umgesetzt werden müssen, würden wir aufgrund der positiven Erfahrungen mit agn jederzeit wieder einen Generalplaner beauftragen, sofern der Gemeinderat zustimmt.

Nach den positiven Erfahrungen beim Stadtarchiv sehe ich keine Gründe, warum sie dies nicht tun sollten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Britta Tomaske.

 

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