15.08.2012

Zukunftsraum statt Sanierungsfalle

Wie eine Planungsaufgabe zum Forschungsprojekt wurde

Die Grundsanierung der Technischen Schulen Steinfurt zeigt, wie trotz geringer Mittel mit einem gesamtplanerischen Ansatz vorbildliche Lösungen realisiert werden können – und die Kosten im Rahmen bleiben.

In Deutschland gibt es fast 40.000 Schulen. Dabei treffen die 11,5 Millionen Schülerinnen und Schüler der allgemeinbildenden und beruflichen Schulen keineswegs auf optimale Bedingungen: Sanierungsstau und hohe Betriebskosten, fehlende Funktionalität und eine nicht mehr zeitgemäße Architektur kennzeichnen auch nach Auslaufen des Konjunkturprogramms II den Alltag an deutschen Schulen. Die Grundproblematik, eine Mischung aus Sparzwängen auf der einen und Modernisierungsbedarf auf der anderen Seite, wird auch in Zukunft zu bewältigen sein müssen. Damit bleibt die Fragestellung, wie trotz knapper Kassen Schulen saniert und modernisiert werden können, hochaktuell.

Die Steinfurter Berufsschule für technische Berufe wurde 2011 bei laufendem Betrieb in drei Bauabschnitten grundsaniert und durch einen Neubau erweitert. Die energetische Ertüchtigung von Außenfassade und Dach erfolgte durch den Einbau neuer Fensteranlagen mit automatischen Sonnenschutzeinrichtungen, einer gedämmten Verblendfassade und einer neuen Flachdachdämmung. Außerdem wurde ein neuer, circa 250 Quadratmeter großer Multifunktionsraum direkt an die zentrale Erschließungsachse der Schule angeschlossen, der für den Schulbetrieb in zwei Großklassen unterteilbar ist und auch als Veranstaltungsraum zur Verfügung steht.

Den Kern des Sanierungsentwurfs bildeten jedoch sechs Lichthöfe, die die innen gelegenen, fensterlosen Räume des sogenannten „Kassler Schultyps“ aufwerten und mit Licht und Luft versorgen sollten. Im Zuge der Generalplanung wurde für die Wärme- und Kälteversorgung der Schule darüber hinaus ein innovatives Anlagenkonzept entwickelt, das sowohl die baulichen Anforderungen als auch die wirtschaftlichen Ansprüche des Bauherrn an die Sanierungsmaßnahme berücksichtigte.

Mehrwert durch Generalplanung – die Integration der Technischen Gebäudeausrüstung

Für die Sanierung der Technischen Schulen Steinfurt wurden durch den Bauherrn im Vorfeld eindeutige Planungsziele definiert: Hierzu zählte vor allem, durch mechanische Be- und Entlüftung zu gewährleisten, dass die CO2-Konzentration in den innen liegenden, fensterlosen Klassenräumen ein Maximum von 1200 ppm (parts per million) während des Unterrichtes nicht überschreitet. Ziel war außerdem eine möglichst natürliche Belichtung dieser Räume, die circa 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Unterrichtsräume ausmachten.

Zudem wünschte sich der Bauherr eine energiesparende Beleuchtung, ein Raumheizsystem mit geringem Instandhaltungsaufwand sowie eine Gebäudeleittechnik mit Einzelraumregelung. Um bei einem künftigen Wechsel des Energieträgers auch eine alternative Wärmeerzeugung zu ermöglichen, sollte bei der Planung des Heizsystems darüber hinaus ein niedriges Systemtemperaturniveau erzielt werden. Ziel der energetischen Sanierung war eine 30- bis 50-prozentige Wärmeenergieeinsparung. Dafür sollte ein Großteil der vorhandenen Bausubstanz im Bereich des Innenausbaus wiederverwendet werden.

Zwingend notwendig war zudem eine akustische Ertüchtigung der Klassenräume. Als planerisches Ziel wurde eine Nachhallzeit von unter 0,5 Sekunden angesetzt. Zusätzlich musste die im Bestand vorgefundene, mangelhafte Schalltrennung zwischen den Klassenräumen dringend überarbeitet

werden.

Diesen Wunschvorstellungen des Bauherrn stand jedoch der verfügbare Kostenrahmen gegenüber, der eine Verwirklichung zunächst unrealistisch erscheinen ließ. Erst ein generalplanerischer Ansatz brachte das Planungsteam von agn zum gewünschten Ziel: Um die planerischen Vorgaben mit dem Budget in Einklang zu bringen, sollten die Heizund Lüftungssysteme in ein gemeinsames (Wand-)Bauteil integriert werden – eine Lösung, die sich anbot, zumal die Trennwände der Klassenräume wegen ihrer mangelhaften Schalldämpfung zum Nebenraum ohnehin saniert werden mussten.

Die vorhandene Wandkonstruktion mit ihrem 86 Zentimeter breiten Raster bot den Ausgangspunkt für eine kreative Lösung, bei der die notwendige Technik „unsichtbar“ in den Raum integriert wurde: Die Idee der „Klimawand“ war geboren. Mit ihr war die Aufgabenstellung der wiederzuverwendenden Bausubstanz, der ertüchtigten Akustik, der Beheizung und der Belüftung realisierbar.

Prinzip der Brunnenwassernutzung zur Kälteversorgung in Kombination mit Brauchwassernutzung: Das Brauchwasser wird für WC-Anlagen sowie das Gewächshaus des Ausbildungszweiges Landschaftsgärtner genutzt und wird in eine offene Versickerung abgeleitet.

 

Brunnenwasser statt Kältemaschine

Eine Klimatisierung der Schule durch konventionelle Kälteaggregate kam aufgrund ökologischer Überlegungen und der engen Budgetierung des Sanierungsvorhabens nicht in Frage. Neben ihren eigentlichen Funktionen „Heizen und Lüften“ sollte die Klimawand daher auch zur Kühlung bei hohen inneren Wärmelasten und hohen sommerlichen Außentemperaturen beitragen. Die hierfür notwendige Wasserkühlung der Klimawand sollte ein neugeschaffener Brunnen leisten: Eine geologische Standortuntersuchung ermittelte das notwendige Grundwasservorkommen, mithilfe eines sogenannten Rutengängers wurde der Brunnenstandort festgelegt, der Brunnen abgeteuft und eine 14-tägige Testförderung durchgeführt, um den Wasserstrom und die sich einstellende Wasserqualität zu prüfen.

Nach Abschluss aller Testläufe, Untersuchungen und den notwendigen Abstimmungen mit den zuständigen Wasserbehörden konzipierten wir die Anlage zur „Wasserkühlung mit Brunnenwasser“. Das gegebene Temperaturniveau des Brunnenwassers (die Fördertemperatur liegt jahreszeitlich bedingt zwischen 8 und 12 Grad Celsius) wird über einen geschichteten Pufferspeicher komplett genutzt und über einen entsprechend dimensionierten Wärmetauscher an das geschlossene Heiz/Kühlsystem der Klimawand abgegeben. Neben den Klimawänden in den Klassenräumen wird auch die komplette EDV- und Serverkühlung über das Brunnensystem versorgt. Zusätzliche Kühlsysteme sind in der Schule nicht mehr vorhanden. Die im Bestand installierten Splitkühlgeräte wurden abgebaut und entsorgt.

Durch die installierte Brunnenwasserkühlung ist zukünftig kein weiterer Energiebedarf – abgesehen vom Strom für die Brunnenpumpe – für die Kühlung erforderlich. Aus 2 Kilowatt Antriebsstrom für Pumpenleistung werden circa 40 Kilowatt Kälteleistung erzeugt. Damit werden unter Annahme des maximalen Auslegungsfalles mit circa 20 Kubikmetern Brunnenwasser täglich circa 190 Kilowattstunden Kälteenergie produziert.

Das verbrauchte Brunnenwasser wird zum einen für die Spülung der WC-Anlagen und zum anderen für den Ausbildungsbetrieb der Gärtnerei genutzt. Bei höherem thermischen Verbrauch von Brunnenwasser wird dieses mit einer maximalen Temperatur von 20 Grad dem Erdreich – über eine entsprechend ausgelegte Versickerungsanlage – wieder zugeführt.

Versuchsaufbau mit PEX-Rohr von 14 mal 2 Millimetern bei noch offener Schachtverkleidung; der Lüftungsanschluss befindet sich oben.

Die Klimawand als Forschungsprojekt

Die Klimawand war eine Novität. Für den Bauherrn fehlten daher verlässliche Aussagen über die Leistungsdaten und die zu erwartende Wirkung im Raum. Vor der endgültigen Entscheidung für die Realisierung der Maßnahme entwickelten wir deshalb ein 1:1-Modell eines Systembauteils der Klimawand mit einer Schachtbreite von 86 Zentimetern. An diesem Modell wurden im klimatechnischen Labor der FH Münster, im Fachbereich EGN (Energie – Gebäude – Umwelt), die Heiz- und Kühlleistung sowie die Strömungsgeometrie getestet. Eine Diplomarbeit ermittelte die Leistungskennzahlen für die möglichen Luftmengen sowie die Heiz- und Kühlleistungen bei verschiedenen Systemtemperaturen.

Für die Untersuchung und Leistungsermittlung einer Klimawand existiert keine konkrete DIN-Norm. Allerdings legt die DIN EN 442-2 für die Leistungsmessungen von Radiatoren und Konvektoren genaue Prüf- und Messverfahren fest, so dass die Messungen an der Klimawand in Anlehnung an diese Norm durchgeführt wurden. Die Darstellung der Ergebnisse erfolgte in einem Leistungsdiagramm (siehe Tabelle unten).

Messreihe 1 Heizleistung Messreihe 2 Kühlleistung
Temperatur Wasser Vorlauf °C 40–50Temperatur Wasser Vorlauf °C 13–16
Temperatur Wasser Rücklauf °C 37–45Temperatur Wasser Rücklauf °C 14,5–17
Heizwasservolumenstrom l/ h 85

Temperatur Luft in 0,75 m Höhe °C 24

Heizleistung W 300–500Kühlwasservolumenstrom l/ h 80,5
Kühlleistung W 100–150             Kühlleistung W 100–150             

Heiz- und Kühlleistungen, gemessen am Labormodell

In differenzierten Messreihen wurden die Heiz- und Kühlleistungen bei verschiedenen Medientemperaturen, unterschiedlichen Volumenströme und auch unterschiedlichen Rohrdimensionen ermittelt. Die Hauptmessreihen beziehen sich auf die Rohrabmessungen 10 mal 1 Millimeter. Analog wurden die Leistungsabweichungen bei der Verwendung eines Rohres mit 14 mal 2 Millimetern gemessen. Der Fokus der Entwicklung lag auf der Senkung des Differenzdrucks bei Ausnutzung von 3 bis 4 Kelvin Temperaturspreizung im Kühlfall. Alle Leistungen wurden auf die Funktion ohne Lüftungsunterstützung ermittelt. Bei einem mit Zuluft unterstützten Schachtsystem wurde ein Leistungszuwachs im Heiz- und Kühlfall von circa 45 Prozent gemessen.

Die technischen Möglichkeiten der Klimawand

Die verschiedenen Messreihen ließen schnell die technischen Möglichkeiten des neu entwickelten Systems erkennen: Die Nutzung von geringen Über- und Untertemperaturen des Wärmeträgermediums, die Möglichkeit der einfachen Nachrüstbarkeit, der geringe Wartungsaufwand und die Ergänzung um zentrale und dezentrale Belüftungssysteme markierten die klaren Vorteile der Klimawand. Akustische Anforderungen an die rückwärtigen Wandsysteme konnten ebenfalls problemlos berücksichtigt werden. Ein Betrieb mit modernen Energieumwandlern wie zum Beispiel Geothermie, Solarthermie oder Wärmepumpe wäre ohne Mehraufwand möglich.

Resultierend aus den Messergebnissen am Modell wurden für die weiteren Planungen die Heizmediumtemperatur mit circa 40 Grad Celsius und die Kühlmediumtemperatur mit 16 Grad Celsius festgelegt.

Weil bei dieser Bauweise die Zuluft ausschließlich über die Klimawände in die Klassenräume eingeblasen wird, konnten die Zu- und Abluftgeräte auf dem Flachdach sehr einfach konzipiert werden. Die RLT-Geräte bestehen aus Zu- und Abluftventilator und jeweils einem Rotationswärmetauscher zur Wärmerückgewinnung mit 82 Prozent Wirkungsgrad. Die Anlagen haben keinen Lufterhitzer oder Luftkühler, wie sonst in RLT-Geräten üblich. Durch den hohen Wirkungsgrad ist gewährleistet, dass bei -12 Grad Celsius Außenluft die Zuluft mit 16 Grad Celsius in die Klimawände eingeblasen wird. Im „Heizbetrieb“ wird die Luft in der Klimawand weiter erwärmt, so dass keine Zugerscheinungen in den Klassenräumen auftreten können.

Der Vorteil eines solchen Systems liegt auf der Hand: Die Kosten für die RLT-Geräte einschließlich der erforderlichen Regelungstechnik sind bis zu circa 30 Prozent günstiger als bei RLT-Geräten mit Lufterhitzer und Luftkühler. Darüber hinaus wird an den RLT-Geräten keine Wärme- und/oder Kälteenergie erforderlich. Das Konzept der RLT-Geräte in Verbindung mit dem hohen WRG-Wirkungsgrad bedeutet daher eine deutliche Minderung der erforderlichen Wärmeenergie für den Betrieb des Schulgebäudes.

Konstruktionsprinzip (Ansicht) von Klimawand und Luftkanälen

Funktioniert ohne Lüftung: Fallschachtzirkulation (Kühlen) | Konvektionsschacht (Heizen)

Der Aufbau der Klimawand

Das auf die Rohbauwand installierte Rohrregister besteht aus handelsüblichen Rohrleitungssystemen (Endlosrohr). Die Klimawand ist in „Luftschächte“ unterteilt, so dass sich – ohne Betrieb der mechanischen Lüftungsanlage – eine Luftzirkulation im Heiz- und im Kühlfall einstellt: im Heizfall aufsteigende Luftbewegung, im Kühlfall fallende Luftbewegung (Fallschachtzirkulation).

Bei Betrieb der Lüftungsanlage wird die Zuluft über die Rohrleitungen geführt und damit die Heiz- und Kühlleistung des Schachtsystems erhöht. Die Zuluft wird über die untere Schachtöffnung in den Klassenraum eingeblasen. Die Sekundärluft des Raumes wird hingegen über die obere Schachtöffnung mitgenommen und als „Umluftanteil“ ebenfalls abgekühlt bzw. erwärmt.

Die Klimawand im Praxistest

Nach Abschluss der Detailplanungen wurde innerhalb einer Heizperiode ein Schulraum mit dem neuen Klimawandsystem ausgestattet, um die Wirkung, die Funktion und auch die Akzeptanz im Schulalltag zu testen. Durch Rauchversuche konnte die Eindringtiefe der Zuluft in den Klassenraum in Abhängigkeit zur Einblasgeschwindigkeit und der Einblastemperatur nachgewiesen werden.

Ziel der Wandkonstruktion war eine einfache, kostengünstige Bauweise und eine Belüftung, die in Form eines Frischluftsees die Gesamtfläche eines Klassenraumes im primären Aufenthaltsbereich der Schüler erreicht. Das Ergebnis der Teamarbeit im Generalplanungsprozess überzeugte auch im Praxistest. Die Akzeptanz bei Lehrern und Schülern war so groß, dass sich der Bauherr entschloss, das System in allen 57 Klassenräumen ausführen zu lassen.

Die Erfolgsbilanz

Während der gesamten Entwicklungszeit wurden vom Bauherrn mutige Entscheidungen zu ungewöhnlichen und nichtstandardisierten Anlagentechniken gefordert. Eine gesicherte Entscheidungsfindung ist in solchen Fällen anhand einer dynamischen Gebäudesimulation möglich, in der reale Betriebsabläufe unter Berücksichtigung von realen Wetterdatensätzen berechnet werden und die Wirkung von baulichen und technischen Maßnahmen eindeutig gezeigt werden kann.

Im Fall der Technischen Schulen Steinfurt wurden bereits in der Vorentwurfsphase die Gebäudesimulation durchgeführt und sämtliche Varianten zur Dämmung, Fensterkonstruktion,

Anlagentechnik usw. unter der Matrix maximaler Energieeinsparung und wirtschaftlicher Investitionen für alle Einzelmaßnahmen bewertet. Die Simulation wurde im gesamten Planungsprozess immer wieder dem Planungsstand angepasst, um das Gebäude real im Rechenmodell abzubilden. Die Ergebnisse der dynamischen Gebäudesimulation, wie sie ausschnitthaft in der obenstehenden Abbildung gezeigt werden, ermöglichten es dem Bauherrn, alle notwendigen Entscheidungen gesichert treffen zu können.

Auszug aus der Gebäudesimulation:
Das Diagramm zeigt die Wirkung von RLT-System und Klimawand in Bezug auf die Luft- und Empfindungstemperatur sowie die „schwingend“ veränderliche relative Luftfeuchte. Trotz steigender Außenlufttemperatur und „Vollbesetzung“ des Klassenraumes bleibt die Raumlufttemperatur über den gesamten Betriebszeitraum konstant.

Fazit

Nicht jede Baumaßnahme kann von Bauherren und Planern als Experimentierfeld genutzt werden. Am Beispiel der Technischen Schulen Steinfurt zeigt sich jedoch eindrücklich, wie durch die Ausnutzung des generalplanerischen Denkansatzes, auch unter Kosten- und Termindruck, optimale Lösungen entstehen können. Dabei ist die Nutzung moderner Werkzeuge für die Planung und Berechnung – neben der Kreativität und Kompetenz des Planungsteams – ein integraler Bestandteil des Erfolges.

Technische Schulen Steinfurt

Die Steinfurter Berufsschule für technische Berufe wurde bei laufendem Betrieb grundsaniert und durch einen Neubau erweitert. Kern des Sanierungsentwurfs sind sechs Lichthöfe, die die innen gelegenen, fensterlosen Räume aufwerten und mit…

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