15.08.2012

Planen ohne Unbekannte

Der Wert von Simulationsprogrammen für bauphysikalisch komplexe Planungen

Auf dem Gebiet der Bauphysik halten seit Jahren Simulationsprogramme Einzug, deren Einsatz Vorhersagen über den Energieverbrauch von Gebäuden, zum Luftwechsel in Räumen oder zum Feuchtehaushalt von Bauteilen erlaubt.

Im Folgenden sei ein Projekt ausführlich vorgestellt, das die Bedeutung von Simulationssoftware für die Generalplanung veranschaulicht.

Bei dem Neubau der Geowissenschaften der Universität Münster ergaben die von uns durchgeführten thermischen Simulationen, dass in den Korridoren des obersten Geschosses im Bereich der horizontalen Atriumverglasung mit einer Aufheizung der Luft zu rechnen ist. Unser Ziel war es, Möglichkeiten zu finden, den Wärmestau im Bereich der Atriumverglasung mit möglichst geringem Aufwand abzubauen. Dadurch sollten auch an heißen Sommertagen verträgliche Temperaturen in den Fluren gewährleistet sein.

Ein relativ einfacher Lösungsvorschlag bestand darin, den natürlichen Effekt des thermischen Auftriebes zu nutzen und entsprechende Zuluft über automatisch öffenbare Fenster in den Fluren der Zwischengeschosse zu schaffen. Jedoch blieb bei dieser Lösung zu klären, ob der Luftdurchfluss in den Fluren zu unzumutbar hohen Windgeschwindigkeiten führen würde.

Abfuhr eines Wärmestaus in einem Atrium durch Zuluft über die Flurfenster der Zwischengeschosse – Überprüfung der Luftgeschwindigkeiten in den Fluren an einem heißen Sommertag unter Beachtung des Auftriebseffektes

Um hier Klarheit zu erlangen, wurde in der agn-Bauphysikabteilung das Gebäude komplett dreidimensional modelliert und mit Hilfe einer thermischen Simulation für einen heißen Sommertag untersucht. In einem Strömungsprogramm (CFD = Comutational Fluid Dynamics) wurde noch einmal genau der Zeitpunkt des Tages mit den höchsten mittleren Luftgeschwindigkeiten analysiert, um eine räumliche Verteilung der Luftgeschwindigkeit zu erhalten.

Durch Aufteilung der Zuluft über alle Geschosse und eine sinnvolle Begrenzung der Abluft im Atrium selbst ließ sich zeitnah nachweisen, dass die Luftgeschwindigkeit in den Fluren Werte von 0,2 bis 0,3 Metern pro Sekunde nicht übersteigt und dennoch die Lufttemperatur in den Fluren des 5. Obergeschosses auf erträgliche Temperaturen gesenkt wird. Die Nutzung der vorhandenen Fensterquerschnitte für die Zu- und Abluft erübrigte zusätzliche Maßnahmen für die Zuluftzuführung. Weil die Berechnung zeitgleich zum Planungsprozess erfolgte, konnten bauliche Änderungen schnell kommuniziert und beachtet werden, die Ergebnisse standen zeitnah zur Verfügung, kostenaufwendige Zusatzmaßnahmen wurden vermieden.

Weitere Aufgaben aktuell bearbeiteter Projekte, bei denen wir in jüngster Zeit ganz konkreten Mehrwert durch Einsatz spezieller Simulationsinstrumente schaffen konnten, mündeten in die folgenden Fragestellungen:

Wie lang muss bei einem Verzicht auf eine Raumlufttechnische Anlage (RLT) die Öffnungsdauer von Fenstern im Sommer und im Winter sein, um in einem stark durch Straßenlärm belasteten Gebiet die noch akzeptable Dosis an Lärm im Büro nicht zu überschreiten? Diese Frage konnte durch eine Simulation des Luftwechsels und der dementsprechend notwendigen Fensteröffnungszeit beantwortet werden. Auch die fallbezogene Schallbelastung konnten wir simulieren. Die Montage einer RLT-Anlage war damit überflüssig.

Luftströme und Verteilung der Luftgeschwindigkeiten in einem OP-Saal

Ein weiterer Anwendungsfall war die Dämmung einer Tiefgarage unter einem Bürohochhaus in Hamburg. Im konkreten Fall galt es zu klären, ob eine oberseitige Dämmung der Decke zum Innenhof notwendig ist, um Tauwasser in der Tiefgarage zu vermeiden. Mittels einer hygrothermischen Simulation der Decke zur Tiefgarage konnte nachgewiesen werden, dass bei Außenlufttemperaturen von < -5 Grad Celsius eine regelmäßige Luftdurchspülung der Tiefgarage dort einer hohen Luftfeuchtigkeit vorbeugt. Tauwasserbildung an kalten Wintertagen war unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu befürchten, auf die Deckendämmung konnte also verzichtet werden.

Zur Nutzung von Abwärme aus einem Tiefkühllager bot sich für den Neubau einer Firmenzentrale der Einsatz von thermisch aktivierten Decken an. Ausgehend von diesem Ziel war zu klären, ob Luftauslässe in den Wänden durch zu hohe Luftgeschwindigkeit die Behaglichkeiten im Großraumbüro negativ beeinflussen.

Hierzu modellierten wir das Großraumbüro, analysierten es anhand einer thermischen und strömungstechnischen Simulation und konnten so den PMV-Index (Predicted Mean Vote/Thermische Behaglichkeit) als Größenordnung zur Beschreibung der thermischen Behaglichkeit hochaufgelöst darstellen.

Die Analyse ergab, dass die thermische Behaglichkeit (PMV) im Aufenthaltsbereich von Personen innerhalb der Toleranzgrenzen von ± 0,5 liegt. Auf Abhangdecken konnte deshalb verzichtet werden, zugleich erwies sich der Einsatz einer Betonkernaktivierung zur Nutzung von Abwärme geringer Temperaturen als machbar.

Hochaufgelöste Darstellung der Behaglichkeit in einem Großraumbüro mit seitlichen Luftauslässen und Zuströmgeschwindigkeiten der Zuluft von circa 3,0 Metern pro Sekunde

Zuletzt sollen die Ergebnisse der Strömungssimulation für einen Operationssaal vorgestellt werden. Im Rahmen der Simulation war zu untersuchen, inwieweit zum einen im Bereich von Kopf und Nacken der operierenden Ärzte zu hohe Luftgeschwindigkeiten auftreten und ob der Luftstrom zum anderen den Patienten auf dem OP-Tisch erreicht.

Unsere Berechnung berücksichtigte die Oberflächentemperaturen der anwesenden Personen, der technischen Geräte, der umgebenden Wände, Lichtquellen sowie alle Zu- und Abluftauslässe. Als Größe des Zuluftvolumenstroms direkt über dem Operationstisch zogen wir die Werte aus dem Einmessprotokoll des Herstellers heran.

Die Simulation führte zu dem Ergebnis, dass die Luftgeschwindigkeit im Bereich der operierenden Ärzte Werte von circa < 0,1 Metern pro Sekunde erreicht und die Luftströmung selbst bis auf den Körper des Patienten reicht.

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