15.08.2012

Potenziale erkennen, Schwachstellen aufdecken

Chancen der Zielplanung im Gesundheitswesen

Zielplanung ist eine Rahmen- und Strukturplanung, die dazu dient, die bestehende funktionale und bauliche Situation eines Krankenhauses – in der Regel stufenweise – in die zukünftigen funktionellen, konstruktiven und gestalterischen Anforderungen zu überführen.

Eine Definition des Begriffs „Zielplanung“ findet man weder in Gesetzen noch in behördlichen Richtlinien oder Planungshandbüchern. Sie stellt heute jedoch die wesentliche Entscheidungsgrundlage für die langfristige Entwicklung eines Krankenhauses dar. Die Norm DIN 130801 definiert Zielplanung „… als Vorgehensweise für die Entwicklung einer Planung zur Erreichung eines Planziels in einem überschaubaren Zeitraum.“ Hier setzt der generalplanerische Ansatz von agn an: Wir verstehen den wesentlichen Nutzen der Zielplanung in der Konsensbildung zwischen allen fachlich Beteiligten in einer frühen Phase der Planung.

Mit Blick auf die Leistungsphasen der HOAI wäre Zielplanung am ehesten als Bestandteil einer der Leistungsphase 1 vorgeschalteten Planungsphase „0“ zu verstehen. Vor Beginn der eigentlichen Bauplanung ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung der Anforderungen innerhalb der Zielplanung eine schnelle Hierarchisierung aller Aufgaben und Probleme, fördert das Verständnis für zu erwartende Erschwernisse der Baumaßnahme im laufenden Betrieb und kann damit Lösungsperspektiven aufzeigen.

Aus Sicht des Kostenträgers, so erklärte uns ein Bauherr, gehe es heute nicht mehr in erster Linie um die Frage, welche Maßnahmen im Rahmen der Zielplanung förderfähig sind, vielmehr stelle sich nach Einführung der Baupauschale intensiver die Frage, was eine Klinik benötigt, um ihre Position auf dem Gesundheitsmarkt zu stärken.

Die Generalplanung erleichtert dem Bauherrn vor allem in der frühen Phase der Planung das konzertierte Zusammenspiel und die zeitliche Abstimmung der einzubindenden planerischen Disziplinen.

Der Begriff der Zielplanung

Zielplanung ist eine Rahmen- und Strukturplanung, die dazu dient, die bestehende funktionale und bauliche Situation eines Krankenhauses – in der Regel stufenweise – an zukünftige funktionelle, konstruktive und gestalterische Anforderungen anzupassen. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme, der Analyse und Bewertung des medizinischen und pflegerischen Istzustandes, werden zunächst alle das Gebäude und seinen Betrieb bestimmenden Einflussgrößen erfasst. Im weiteren Verlauf wird, ausgehend vom Bestand und einem Idealplan, ein Zielplankonzept entwickelt, das den zukünftigen Funktions- und Flächenvorgaben entspricht. Innerhalb dieser Planungsschritte wird dann das Zielplankonzept in einem Grobentwurf verfeinert und in Realisierungsabschnitte gegliedert.

Lageplan des St. Franziskus-Hospital in Ahlen, rot makiert die von agn ergänzten Baumassen

Zielplanung kann ihre Möglichkeiten nur dann optimal ausschöpfen, wenn das Zusammenspiel des Bauherrn mit den Nutzern eng ist und von einem fachlich kompetenten Planungsteam begleitet wird. Zielplanung ist jedoch immer auch ein Prozess – das heißt, im Planungsverlauf selbst ergeben sich Änderungen und neue Erkenntnisse, die zu Veränderungen der inhaltlichen Zielsetzungen und zu Anpassungserfordernissen führen.

Eingang des Hospitals mit Kapelle und Cafeteria

Wahrnehmung der Zielplanung

Die Zielplanung ist eine Aufgabe des Krankenhausträgers, in dessen Auftrag der Architekt ggf. unter Hinzuziehung weiterer Fachleute die Untersuchungen durchführt und koordiniert. Bis zur Änderung der entsprechenden Förderrichtlinien war sie unumgängliche Voraussetzung für eine Förderung von Baumaßnahmen im Rahmen der Investitionsprogramme des Landes NRW.

Doch auch losgelöst von Förderanträgen ist sie weiterhin eine notwendige Entscheidungshilfe. Sie bildet die Grundlage dafür, dass keine Fehlinvestitionen, zum Beispiel in Gebäude mit geringerer Lebensdauer, getätigt werden sowie zukünftige Verbesserungsmaßnahmen nicht durch desintegrierte Einzelentscheidungen verhindert werden.

Die Entwicklung einer Zielplanung ist immer auch mit einem positiven Selbstbesinnungs- und Findungsprozess des Krankenhauses und seinen Leitungsverantwortlichen verbunden. Mit den Kenntnissen und Resultaten aus anderen Projekten lässt sich gerade in der Zielplanung mit dem Bauherrn und dem Ansatz der Generalplanung über den Tellerrand schauen.

Ablauf der Zielplanung

Für die komplexe Aufgabenstellung der Zielplanung lassen sich drei Phasen formulieren:

In Phase I steht die Bestandserfassung und -analyse im Mittelpunkt. Zugleich muss das Management jene Zielsetzungen formulieren, aus denen die Vorgaben für die Entwicklung von Gebäude, Gerät und Personal abgeleitet werden können. Die erste Zielplanungskonferenz dient der Bestandsbewertung und der Formulierung von möglichen Entwicklungen. Ein beispielhafter Arbeitsplan für die Phase 1 und ihre Zielplanungskonferenz enthält folgende Punkte:

1. Bestandserfassung
Darstellung der derzeitigen Situation des Krankenhauses

1.1 Wiedergabe der medizinischen Aufgabenstellung
Einsichtnahme in die Leistungsstatistiken

1.2 Ist-Aufnahme Bau/Bestandsermittlung
(Grobübersicht)
Örtliche Begehung der gesamten Krankenhausanlage, Sichtung und Überprüfung von Bestandsplänen

1.3 Darstellung der Zuordnungen und Verknüpfungen
Angabe über Lage und Anordnung einzelner Funktionsstellen mit Darstellung von Erschließungen und Wegeführungen

1.4 Erfassen der Flächen
Aufstellung der Nutzflächen je Ebene

1.5 Zusammenstellung der technischen Grunddaten
(bestehende Struktur, vorhandene Werte)

1.6 Sammeln der städtebaulichen und baurechtlichen Grunddaten

2. Bestandsanalyse und –bewertung
(quantitativ und qualitativ)
Gerade hier ist der Blick von außen unerlässlich, um Fehlentwicklungenaufzudecken und sie auch beim Namen zunennen.
Was bisher gut funktioniert hat, muss für die Zukunft nichtdas Richtige sein. Es gilt viele sensible und intensive Diskussionenzu führen, in deren Verlauf sich auch Chefärzte undder Bauherr von alten Zöpfen trennen müssen.

2.1 Beurteilung der Gebäude
Bewertung des Gebäudezustands aus baulicher und technischerSicht mit Aussagen über Alter, Struktur, technischeAusstattung und Nutzung (weiterverwendbar, umbaufähig)

2.2 Analyse der Betriebsabläufe
Kritische Würdigung der Leistungsfähigkeiten einzelnerAbteilungen und Bereiche, der funktionellen Zuordnungund Raumgrößen

2.3 Bewertung der Freiflächen
Erfassung der Freiflächen mit Darstellung ihrer derzeitigenund künftigen Nutzungsmöglichkeiten

2.4 Aufzeigen von Erweiterungsmöglichkeiten in horizontaler und vertikaler Ausrichtung
Bei diesem Thema sollte unbedingt offen diskutiert werdenkönnen, da es bei solch einem Projekt vielfältige Interessengibt, nicht zuletzt jene von Behörden und Kommune.

2.5 Abklärung der zu berücksichtigenden behördlichen Rahmenbedingungen und Genehmigungen
Bauaufsicht, Gewerbeaufsicht, Brandschutz, Denkmalschutzetc.

3. Zielsetzung in der Zielplanung

3.1 Medizinische und pflegerische Aufgabenstellung
Konzeption auf Basis des Landeskrankenhausplans (fachlicheGliederung, Bettenzahl)

3.2 Erarbeitung der Leistungsdaten
Die erste Zielplankonferenz dient als „Brainstorming“, imWesentlichen also einer Abstimmung unter den Beteiligtenin ihrer Einschätzung des Status quo. Zugleich gilt es, Ideenfür die Verbesserung der Situation zu sammeln.

St. Franziskus-Hospital, Ahlen – 1. Obergeschoss Bestandsgrundriss mit Schwachstellenanalyse

Soll-Ist-Vergleich der Flächenanalyse in Phase II

Soll-Ist-Vergleich der Flächenanalyse in Phase II

In Phase II werden die zukünftigen Anforderungen in Form konkreter Vorgaben, etwa im Bereich der Flächen und Strukturen, formuliert. Im Soll-Ist-Vergleich werden die Defizite aufgezeigt. Der sich daraus ergebende Rahmenund Entwicklungsplan wird als Zielplankonzept erarbeitet. Eine zweite Zielplankonferenz dient der verbindlichen Abstimmung dieses Grobkonzeptes und der Vorbereitung der ersten Kontaktgespräche mit den zuständigen Förderbehörden.

Inhalt:

1. Zukünftige Anforderungen (Zielsetzung)

1.1 Erstellen eines Soll-Programms als Zielvorstellung

1.2 Aufzeigen der Planungsprinzipien
für die betriebliche und funktionelle Neuordnung

2. Soll-Ist-Vergleich

2.1 Gegenüberstellung der Nutzflächen
Dies schafft einen zusammenfassenden Überblick über Flächendefizitebzw. -überhänge in den einzelnen Bereichenund in der Gesamtanlage.

3. Rahmen- und Entwicklungsplan
(Entwicklung einer neuen betrieblich-baulichenGrundkonzeption)

3.1 Zeichnerische Darstellung (Maßstab 1:1000/1:500)
Auf Basis der Bestandsanalyse und Zielsetzung wird inForm von Baumassenskizzen nachgewiesen, wie die notwendigenFlächen in den vorhandenen Gebäuden bzw. inErweiterungsbauten auf dem Grundstück untergebrachtwerden können. Unter Abwägung funktioneller, technischerund kostenmäßiger Kriterien ist daraufhin die besteLösungsvariante auszuwählen.Die zweite Zielplanungskonferenz dient der Vorstellungdes erarbeiteten Planungskonzeptes einschließlich der Untersuchungenzu alternativen Lösungsmöglichkeiten.

In Phase III wird der Rahmen- und Entwicklungsplan verfeinert, es werden Realisierungsschritte festgelegt und Kosten ermittelt. Gleichzeitig finden die Abstimmungen mit den Behörden statt. Bei einer Abschlusskonferenz werden die Ergebnisse vorgestellt und vom Krankenhaus verabschiedet. Danach geht es an die Erarbeitung entsprechender Finanzierungsanträge.

Inhalt:

1. Realisierungsschritte

1.1 Aufstellen eines Bauabschnittplanes
nach Dringlichkeit und Finanzierbarkeit unter Beachtungvon Baustrukturen und laufendem Betrieb

1.2 Überschlägige Flächenermittlung und Kostenschätzung
für Um- bzw. Neubaubereiche als Grundlage für künftigeInvestitionsentscheidungen

In der Abschlusskonferenz werden nochmals die Bestandsund Zielplanung erläutert sowie die einzelnen Realisierungsschritte aufgezeigt. Ferner steht die kostenmäßige Erfassung der einzelnen Abschnitte für Um- und Neubaubereiche an.

Die nun vorliegende Zielplanung dient als Grundlage für künftige Investitionsentscheidungen. Wichtig ist dabei, dass die Entwicklung der Zielplanung unter Mitwirkung aller im Krankenhaus verantwortlich tätigen Personen stattfindet. Um ein optimales Ergebnis zu erreichen, zahlt es sich aus, interne Kenntnisse der Abläufe und der spezifischen Merkmale des Krankenhauses einer unvoreingenommenen, also nicht „betriebsblinden“ Beurteilung dieser Sachverhalte von außen gegenüberzustellen und zu ergänzen.

Im generalplanerischen Verständnis hat die Zielplanung zudem zukünftige Entwicklungen im Gesundheitswesen zu berücksichtigen, von denen ein Einfluss auf das Krankenhaus von morgen zu erwarten ist – hier gilt es, den Bauherrn umfassend zu beraten. Hierbei geht es unter anderem um die folgenden Themenschwerpunkte:

- Extrem steigender Kostendruck, welcher zu Rationalisierungszwängen führt, die sich im Wesentlichen auf den Personalbereich konzentrieren.

- Das Gesundheitssystem entwickelt sich immer mehr zu einem Netzwerk, bei dem die starren Grenzen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufgelöst werden. So müssen im Krankenhaus vermutlich zunehmend ambulante Leistungen erbracht werden. Umgekehrt werden

Krankenhausleistungen in externe Einrichtungen (Arztpraxen, Gesundheitszentren) ausgelagert. Ziel ist es, über eine Konzentration der Leistungen und der damit verbundenen Synergieeffekte, Rationalisierungspotenziale zu erschließen.

- Die Krankenhäuser treten zunehmend in einen Wettbewerb untereinander. Dies betrifft einerseits die Abrechnungen der Leistungen, bei denen die Krankenkassen Druck im Hinblick auf vergleichbare Entgelte ausüben. Andererseits werden die Patienten zunehmend anspruchsvoller und sind im Hinblick auf die Wahl des Krankenhauses flexibler.

- Im Trend liegt eine Konzentration und Optimierung der Tätigkeiten innerhalb des Krankenhauses auf das medizinische Kerngeschäft. Gleichzeitig wird es auf eine weitere Spezialisierung und Schärfung des medizinischen Profils ankommen.

- Die Verweildauer wird aller Voraussicht nach noch weiter zurückgehen (aktuell durchschnittlich 5 bis 7 Tage). Vorund nachgeschaltete Einrichtungen und Verfahre werden den stationären Krankenhausaufenthalt auf die Kernzeit reduzieren. Daraus ergibt sich, dass die „Pflegedichte“ bei sinkender Bettenzahl und tendenziell steigender Fallzahl zunimmt.

- Bereiche, die nicht zum Kerngeschäft des Krankenhauses gehören, werden zunehmend ausgegliedert oder für mehrere Einrichtungen zusammengelegt. Dies trifft zum Beispiel auf Einrichtungen wie die zentralen logistischen Funktionsstellen, Speisenversorgung, Arzneimittelversorgung oder Sterilgutversorgung zu. Andererseits wird für die medizinischen Bereiche die Kooperation mit anderen Krankenhäusern oder niedergelassenen Ärzten forciert (Gesundheitszentrum, Radiologie, Physikalische Therapie etc.).

- Die Krankenhäuser werden sich bemühen, neue Betätigungsfelder zu erschließen. Zu denken ist hier an unterschiedliche Formen der Pflege oder auch an ambulante Leistungen wie ambulante Rehabilitationen.

- Es ist davon auszugehen, dass mittelfristig die dualistische Krankenhausfinanzierung in ein monistisches System überführt wird (Krankenhausfinanzierungsgesetz). Das heißt, dass die Krankenkassen auch bauliche Investitionen über die Pflegesätze finanzieren müssen. Daraus ergibt sich, dass die Steuerungs- und Einflussmöglichkeiten der Krankenkassen weiter zunehmen werden. Das Gesundheitswesen befindet sich also im Umbruch und jede Klinik muss ihren Weg finden, um in der wachsenden Konkurrenz zu bestehen.

Die Zielplanung im Rahmen generalplanerischer Tätigkeit ist der optimale und richtige Weg, Potenziale zu erkennen, Schwachstellen zu entdecken und ein Krankenhaus bei seiner Erneuerung und ggf. auch Neuausrichtung zu begleiten.

Die einmal getroffenen Aussagen der Zielplanung müssen jedoch von Zeit zu Zeit kritisch überprüft und fortgeschrieben werden.

1DIN 13080, Beiblatt 4, Ziffer 2.

St. Franziskus-Hospital, Ahlen – 1. Obergeschoss – Nutzungsverteilung gemäß Konzept der Zielplanung

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