15.08.2012

Planung im Dialog optimieren

Erfolgsfaktor Kommunikation und Moderation am Beispiel der Universität Bielefeld

Zu den unverzichtbaren Fähigkeiten des Planers gehört es, überzeugend zu präsentieren und im Dialog mit Auftraggebern und Planungsbeteiligten den richtigen Ton zu treffen.

Beim Ersatzneubau für die Universität Bielefeld war es Teil unserer Aufgabe als Generalplaner, die unterschiedlichen Interessen von Nutzern und Bauherrn auf einen Nenner zu bringen.

Die Universität Bielefeld wurde vor mehr als 40 Jahren zur Strukturförderung Ostwestfalens gegründet. Heute umfasst sie ein breites Spektrum von 13 Fakultäten der Geistes-, Natur-, und Sozialwissenschaften mit fast 18.000 Studenten und annähernd 1500 Wissenschaftlern. In den Augen der Nutzer spielt die Architektur des 1976 fertiggestellten Hauptgebäudes eine wichtige Rolle für den Erfolg der Universität, weil sie die Kultur der Offenheit und Interdisziplinarität stark fördert. Gleichzeitig will sich die Universität dem internationalen Wettbewerb in der Hochschullandschaft mit einem neuen architektonischen Gesicht stellen: In Bielefeld soll bis 2025 einer der modernsten Hochschulstandorte Deutschlands entstehen.

Um das Universitätshauptgebäude (UHG), eines der größten zusammenhängenden Gebäude Europas und gleichzeitig ein wichtiges Beispiel des funktionalen Strukturalismus der 1970er Jahre, sanieren zu können, müssen bis 2013 dauerhaft rund 20 Prozent der Flächen in den sogenannten Ersatzneubau an der Universitätsstraße (ENUS) ausgelagert werden.

 

Die Angebotsphase

Im Frühsommer 2009 wurden im Rahmen eines öffentlich ausgeschriebenen Generalplanerauftrags sechs Büros ausgewählt, in einem konkurrierenden Gutachterverfahren innerhalb von nur vier Wochen ein Konzept für den Ersatzneubau auf den nördlichen Campusflächen zu entwickeln. Neben einer neuen Heimat für unterschiedliche geisteswissenschaftliche Fakultäten war auch Raum zu schaffen für die übergeordneten Funktionen Hörsaalzentrum und Bibliothek. Darüber hinaus sollte eine neue Mensa – die größte in Nordrhein-Westfalen – integriert werden. Sie soll zukünftig auch die zahlreichen Studenten der in der Nachbarschaft entstehenden Fachhochschule versorgen.

Obwohl bis zum Sanierungsbeginn 2013 „nur“ rund 20 Prozent der bestehenden Flächen des Universitätshauptgebäudes ausgelagert werden, war die schiere Größe der Aufgabe mit rund 28.000 Quadratmetern Nutzfläche plus Garage für 900 Stellplätze beeindruckend.

Um die Scheu vor dieser komplexen Aufgabe zu verlieren, startete das agn-Team ganz handwerklich-pragmatisch: Wir bauten als wichtiges internes „Kommunikationsmedium“ zunächst ein Umgebungsmodell mit dem benachbarten Universitätshauptgebäude. Das half uns, ein Gespür für den besonderen Kontext des Ortes zu entwickeln, der zum einen durch die Lage am Nordhang des Teutoburger Waldes und zum anderen durch die Megastruktur Universitätshauptgebäude geprägt wird. Außerdem visualisierten wir das heterogene Raumprogramm im Maßstab 1:500. Ohne die besonderen Funktionsbezüge zu berücksichtigen, benötigten wir allein dafür eine komplette DIN-A0- Tapete.

Der Ersatzneubau entsteht im Spannungsfeld der benachbarten markanten architektonischen Großform rechts und dem bewegten Geländeverlauf am Nordhang des Teutoburger Waldes.

Beide Gebäude, das Universitätshauptgebäude wie der Ersatzneubau, folgen einem strukturalistischen Ansatz.

Erfolg durch Kommunikation

Für die weitere Entwicklung des Projekts galt es, die Balance zwischen konzentriertem Arbeiten und kreativem Austausch zu finden. Unser Team war durch frühere gemeinsame Wettbewerbsbearbeitungen eingespielt, sodass die notwendige Sensibilität für eine komprimierte und konstruktive Diskussion gegeben war.

Um den großen zeitlichen Druck zu relativieren, hatten wir uns intern darauf verständigt, unseren Beitrag in erster Linie als Momentaufnahme eines Prozesses, nicht so sehr als fertiges Ergebnis zu verstehen. Diese Einstellung haben wir uns in Teilen auch für die weitere Planung bewahrt. Wir entwickelten ein robustes Konzept, bei dem ein zweigeschossiger Sockel mit den öffentlichen Nutzungen überlagert wird von insgesamt vier ringförmigen und höhengestaffelten Strukturen für die Fakultäten. Dabei entspricht das differenzierte Volumen dem heterogenen Raumprogramm im Inneren. Darüber hinaus wollten wir ein stringentes und modulares Gebäude schaffen, das den Nutzern als strukturelle Systemhilfe beim Annehmen, Belegen und auch späteren Anpassen dienen soll. So entstand für den Ersatzneubau beinahe intuitiv so etwas wie ein „kleiner Bruder“ des Universitätshauptgebäudes, der die Qualität des Bestandes aufnimmt, fortschreibt und optimiert.

Die Angebotsphase endete mit einer großen Präsentation der Ergebnisse. Zeitgleich mussten auch die formalen Leistungen wie Flächennachweise, Schätzung der Baukosten und das Honorarangebot abgegeben werden.

An einem sehr frühen Sommermorgen 2009 machten wir uns gespannt auf den Weg nach Bielefeld, um unseren Beitrag einer großen Runde von Entscheidern vorzustellen. Mit Kanzler, Rektor, den Dekanen, den Leitern und Stellvertretern von Universität, Fachhochschule und der Bielefelder Niederlassung des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW (BLB) begann an diesem Tag der erste inhaltliche Dialog über die Bauaufgabe. Bei dieser heterogenen Gruppe waren die Verantwortungen und Interessenlagen nicht sofort zu erkennen, was half, sich auf die inhaltlichen Aussagen zu konzentrieren.

Für die „Inszenierung“ unseres Ergebnisses per Powerpoint-Präsentation hatten wir uns für einen Wechsel zwischen sachlichen und emotionalen Folien entschieden: Plakative, fast naive Handskizzen und Piktogramme nutzten wir in dieser Runde als Medium zur Erläuterung anspruchsvoller Sachverhalte. Sie eigneten sich für eine erste Annäherung besser als eine perfekte CAD-Zeichnung, weil in ihnen jeder zunächst das wiederfindet, was er sehen will und sehen kann. Um den Impuls unserer Aussagen zu stärken und die individuellen Assoziationen zu lenken, integrierten wir zudem zahlreiche Fotos und Bilder.

Außerdem halfen neben zwei detaillierten Perspektiven insbesondere zahlreiche räumliche Skizzen bei der Erläuterung unserer architektonischen Vorstellungen des großen Volumens. Diese verkettete „Bilderreise“ erforderte zwar den Mut, sich im Vortrag vor manchen eher rationalen Zuhörern stark zu exponieren, sie lockerte jedoch wirkungsvoll das Ende der Präsentation auf und leitete über zum Beginn des Dialoges.

Je größer und „neuer“ eine Runde, desto langsamer kommt erfahrungsgemäß die Diskussion in Gang. Doch in unserem Fall wurde schon nach wenigen Rückfragen die inhomogene Interessenslage deutlich. Während aufseiten des BLB Funktionalität und Kosten im Vordergrund standen, interessierten sich die Vertreter der Universität mehr für Inhalte der neuen Lernwelt und deren Ambiente. Auch die Fassaden und ihre typologische Nähe zum Universitätsbestand waren Teil der Diskussion. Die spannendste Herausforderung in diesem frühen Gespräch war es, die eigene Meinung eindeutig zu formulieren und die durch die intensive Bearbeitung erlangte Kompetenz des agn-Teams zu zeigen – und dabei gleichzeitig Änderungen und Kritik dialogbereit und flexibel gegenüberzustehen.

Nach einigen Wochen erhielten wir die freudige Nachricht, dass der Bauherr beabsichtige, uns mit den weiteren Planungsleistungen zu beauftragen.

Eine Summe aus verschiedenen Kriterien – vom Entwurf über das Angebot bis hin zur Präsentation – und wohl auch die Authentizität des Generalplanerteams gab letztlich den Ausschlag, uns das Vertrauen auszusprechen.

Die beiden Haupteingänge und der Versatz in der südlichen Gebäudeflucht des Neubaus stärken seine Präsenz am Campus.

Vom Auftrag zum Plan

Die Vertreter der Universität Bielefeld, der Fachhochschule und des BLB hatten die Anregungen aus den Konzepten der weiteren am Wettbewerb beteiligten Generalplanerteams genutzt, ihre Kritik an unserer Arbeit zusammenzufassen. Mit der endgültigen Beauftragung startete der Rhythmus regelmäßiger Projektbesprechungen im kompakten Kreis der Planungsbeteiligten. Neben den zweiwöchigen Jourfixe-Terminen gingen insbesondere von den großen Entscheiderrunden mit ihren Statusberichten zum Stand der Planung Impulse für den weiteren Planungsprozess aus. Wesentlich war die Forderung eines klar wahrnehmbaren zweiten „Haupteinganges“ für das Gebäude mit dem Ziel, auch zur Fachhochschule hin eine angemessene Adresse und einen guten Zugang insbesondere zur Mensa zu schaffen.

Daraufhin überarbeiteten wir auch die Küchen- und Ausgabebereiche der Mensa und versuchten unsere funktionalen Ideen möglichst plastisch auf den Punkt zu bringen. In unserer „Bielefelder Zwillingsmensa“, so die Erläuterung, begegnen sich im Freeflowbereich „links- und rechtsdrehende“ Studentenströme vom nördlichen und westlichen Haupteingang. Eine „Mixed Zone“ dient der Verteilung in die drei Speisesäle, die auch unterschiedlich zusammenschaltbar sind.

Zwillingsmensa Skizze

Die Wegeführung innerhalb der Mensa kanalisiert effektiv die aus entgegengesetzten Richtungen kommenden Besucherströme.

Natürlich wurden in den weiteren Gesprächsrunden auch die individuellen, „egoistischen“ Wünsche der unterschiedlichen Nutzer offenkundig. Das vom Ministerium genehmigte Raumprogramm – immerhin die Grundlage unserer Beauftragung – war weitaus kleiner als der angemeldete Bedarf der Universität. Dieser Umstand führte im Vorentwurf zu einem Flächenzuwachs von rund 10.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche. Daraus resultierte zusammen mit den detaillierteren Qualitätsanforderungen eine deutliche Überschreitung der Kostenobergrenze. Die infolge dieser unvereinbaren Ansprüche „mangelhaft“ gewordene Planung und die damit verbundene Gefährdung des Projektes waren letztlich notwendig, um einen positiven, gruppendynamischen Prozess zur Flächen- und Kostendisziplin in Gang zu setzen.

Die Verantwortung für das Gelingen eines Projektes können Bauherr, Nutzer und Planer nur gemeinsam tragen. „Engstellen“ im Planungsprozess erzwingen eine besondere Kreativität auf der Suche nach kostengünstigen Alternativen und fördern das kritische Hinterfragen bisheriger Setzungen. So konnten wir den Bauherrn überzeugen, die städtebauliche Rahmenplanung fortzuschreiben und das Baufenster geringfügig aufzuweiten, wodurch der geringe und konstruktiv kritische Abstand zu den Gleisen der benachbarten Stadtbahn entschärft wurde und der große Logistikbereich nach außen an die östliche Grundstücksgrenze verlagert werden konnte. Auch die Präsenz des Neubaus am Campus konnte durch den Versatz zur Gebäudeflucht der untergeordneten Parkhäuser seiner Bedeutung entsprechend gestärkt werden. Allein aus dieser Modifikation resultierte eine Kosteneinsparung von über einer Million Euro.

„Vergleichendes Sehen“ und Bewerten fördert die konsensfähige Entscheidungsfindung, zum Beispiel bei der Beurteilung von Fassadenvarianten.

 

Der Planungsprozess als Optimierungsspirale

Planungsprozesse haben viel mit Mathematik zu tun: Das Herleiten und Erklären der Lösungen und die Suche nach dem gemeinsamen Nenner der unterschiedlichen Planungsparameter zwangen uns beim Projekt ENUS immer wieder, unsere Entwurfsentscheidungen zu objektivieren und zu begründen. Dem Ersatzneubau liegt eine konsequente, modulare Ordnung zugrunde, die eine hohe Anpassungsfähigkeit des Gebäudes an spätere Nutzungsänderungen ermöglicht. Dennoch lässt sich insbesondere die ästhetischräumliche Dimension des Planens nur bedingt „begründen“. Vielmehr ging es uns um die Wechselwirkung von Assoziation und Analyse. So half das „vergleichende Sehen“ zum Beispiel bei der Bewertung unterschiedlicher Fassadentypologien. Dazu wurden Varianten neutral und wertfrei aufgezeigt und in fotorealistischen Renderings zur Diskussion gestellt. Der Mut, auf diese Art die kollektive Intuition zu provozieren, führte dazu, dass manche Planungsbeteiligte die Grenzen ihrer Bewertungskompetenz erkannten („Da sage ich jetzt nichts dazu, das ist Sache der Architekten …“).

Das so erarbeitete Vertrauen vergrößerte die uns zugestandene fachliche Autorität und beschleunigte spätere Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig entstand so im Laufe der Planung eine gemeinsame informelle Ebene, die es erleichterte, auch ungelöste Punkte und Schwierigkeiten offen anzusprechen.

Wir sehen Planung als Optimierungsspirale, die sich zu einer möglichst guten Lösung „hochschraubt“. So wurden sensible Themen wie die Gestaltung der Fassaden wieder und wieder umkreist, die Synchronisation erfolgte in immer feineren Schritten.

Allerdings braucht Qualität auch den kontrollierten Konflikt. Denn der Konflikt fördert die Kreativität. Gerade beim Zusammentreffen der unterschiedlichen Fachdisziplinen stellte sich immer die Frage: Gibt es einen tragbaren Konsens oder muss eine Seite ihre Position aufgeben?

So waren den Architekten die Dachflächen als fünfte Fassade aufgrund der Hanglage und der Einsehbarkeit vom Universitätshauptgebäude besonders wichtig. Die unterschiedlichen Schwerpunkte der Lüftungsanlagen hätten jedoch zu unterschiedlichen Dachaufbauten auf den vier Gebäuderingen führen können, was dem additiven und modularen Konzept widersprochen hätte. Die in intensiven

Diskussionen gemeinsam erarbeitete Lösung bestand in der Stapelung der Lüftungsmodule entlang der Magistrale. Dadurch erscheinen die Technikaufbauten jetzt nicht unterschiedlich flächig, sondern unterschiedlich hoch – was den strukturalistisch spielerischen Ansatz der Höhenstaffelungen von ENUS noch unterstreicht.

Um derartige Impulse aus dem Dialogprozess verarbeiten zu können, braucht es bei allen Beteiligten Toleranz für die Meinungen der anderen und auch die nötige fachliche Kompetenz für den „Blick über den Tellerrand“ in die anderen Gewerke. Daneben hilft die innere Zuversicht und der Wille, das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren sowie eine „professionelle Naivität“, Dinge temporär auszublenden, um zu einem späteren Zeitpunkt an dieser Stelle des Puzzles weiterzuarbeiten.

Nur offene und progressive Kommunikation evoziert den Mut, sich vom statischen, „kristallinen“ Wissen zu lösen und sich zu öffnen für das interaktive, „fluide“ Wissen – was in der Gruppe eine Kultur kollektiver Intuition und kollektiver Intelligenz fördert.

So soll der Ersatzneubau an der Universitätsstraße dem Bedürfnis nach gebauter Identität als unverwechselbares Unikat gerecht werden – eine große Struktur im menschlichen Maßstab.

Die Identifikation mit Gebäuden animiert Studenten und Lehrende zur wertschätzenden Nutzung und Betreiber zur angemessenen Pflege und Wartung und führt so zu einer „emotionalen Nachhaltigkeit“ – als Ergebnis eines guten und auch pragmatischen Dialoges bereits während der Planung.

 

Axel Schwinde

 

Unser Ziel war es, ein identitätsstiftendes Gebäude zu errichten. Verschiedene Ansichten der Verkehrszonen im Gebäude.

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