15.08.2012

Die Kraft von Bildern

Für jeden Anlass die richtige Zeichnung

Visualisierung unterstützt nicht nur den Dialog mit dem Bauherrn, man kann sie auch als proaktives Planungsinstrument einsetzen.

Zugunsten der hyperperfekten, computergenerierten Visualisierung (Rendering) ganz auf traditionelle Zeichnungen zu verzichten, erscheint kurzsichtig, denn traditionelle Zeichnungen sind gerade am Beginn einer Planung oft das ideale Medium.

„Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“ ist ein geflügeltes Wort. Bereits 1926 schrieb Kurt Tucholsky einen Essay mit diesem Titel. Aber das Sprichwort verdankt seine Popularität vor allem dem amerikanischen Werbefachmann Frederick Barnard, der sich Anfang der 1920er Jahre für neuartige Anzeigen auf Chicagoer Straßenbahnen stark machte. „Bilder“, sagte Barnard, „nimmt das Gehirn sofort auf und versteht sie viel besser als Texte.“

Die moderne Hirnforschung kann die suggestive, direktere Wirkung von Bildern heute auch wissenschaftlich belegen. Bilder werden vom Gehirn schneller aufgenommen und Informationen, die über Bilder transportiert werden (zum Beispiel in der Werbung oder in Präsentationen), bleiben besser im Gedächtnis haften.

 

Bilder und Architektur

Zeichnungen, Skizzen, Bilder sind ein wichtiges Kommunikationsmittel, gerade am Beginn eines Projektes, wenn die tatsächliche Architektur noch lange nicht existiert. Denn während Architekten geübt sind, in räumlichen Dimensionen zu denken, sind Bauherren und andere Beteiligte damit nicht selten zum ersten Mal konfrontiert. Deshalb bilden Zeichnungen, Skizzen und Bilder in den ersten Planungsphasen die Diskussionsgrundlage, um sich dem Projekt mit allen Konkretisierungen weiter zu nähern.

Zeichnungen dienen dabei nicht nur der Vermittlung der Entwurfsidee vom Planer an andere, sondern sind selbst ein Werkzeug des Entwerfens. Sie helfen dem Architekten, sich über Raumwirkungen klar zu werden, Ideen zu verifizieren und Unstimmigkeiten zu vermeiden. Erst ein Bild löst den Entwurf aus dem Kopf des Architekten und macht ihn kommunizierbar. Peter Eisenman behauptet sogar: „Wir können nur das entwerfen, was wir zeichnen können.“1 Folgerichtig stellen Zeichnungen, Skizzen und Visualisierungen einen wichtigen Teil der Tätigkeit eines Architekten dar.

 

Die verschiedenen Bildmittel

Zeichnungen blieben bis vor wenigen Jahrzehnten DAS Visualisierungsmittel, ausgeführt mit Kohle, Bleistift oder Filzstiften, schwarz-weiß oder bunt, aber immer zweidimensional und in Handarbeit. Mit der computergestützten Visualisierung leistungsstarker Softwareprogramme löste der Mausklick den Bleistiftstrich ab. Die Bilder wurden immer detaillierter und genauer, bis die Entwicklung in den letzten Jahren mit dem fotorealistischen Rendering ihren vorläufigen Endpunkt erreichte.

Doch nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll. Heute geht der Trend auch wieder zurück zur groben, einfachen Darstellungsform: In den ersten Entwurfsphasen, wenn sich der Architekt der Idee durch räumliche Skizzen annähert, ist eine gewisse positive „Unschärfe“ der Informationen durchaus gewünscht. Denn nur dann ist die Zeichnung auch kongruent zum jeweiligen Reifegrad einer architektonischen Idee. Entwerfen ist ein Prozess des ständiges Präzisierens: vom Groben zum Feinen, von der Idee zum Detail.

Der sinnvolle Detaillierungsgrad einer Darstellung ist also abhängig von ihrer Aufgabe und der Projektphase: Computerzeichnungen schaffen sehr schnell eindeutige Aussagen, also Fakten, die zu diesem Zeitpunkt so noch nicht festgelegt werden können oder sollen – denn die optimale Lösung kann eine andere sein, was sich erst mit zunehmender Präzisierung erschließt.

Für Projektgespräche mit dem Bauherrn und anderen Beteiligten braucht es anfangs Bilder, die zunächst nur eine Stimmung und ein Raumgefühl vermitteln und keine Diskussion zum Beispiel über Fensterprofile oder Fassadenmaterial auslösen. Am Anfang steht nur der Raum, die Tiefenschärfe der Darstellung folgt sukzessive.

Die Skizze ist ein schnelles, wirtschaftliches und sehr persönliches Mittel, eine Raumidee zu veranschaulichen. Sie vermittelt Zusammenhänge und unterstützt perfekt den Dialog, gerade weil sie Details ausklammert und so der Phantasie noch viel Spielraum für eigene Vorstellungen lässt. Sie ist einfach zu verstehen, weil sie zunächst das Gefühl anspricht und nicht rational verstanden werden muss.

Die einzelnen Visualisierungsinstrumente und ihre Funktion

1 Die grobe Handskizze – schnell, individuell, kraftvoll

Ich arbeite viel mit der groben Handskizze, die ich klassisch mit Kohle, Bleistift oder bunten Filzstiften ausführe. Mit ihr übertrage ich die Kurzfassung meiner Idee auf Papier. Die grobe Handskizze beantwortet die Frage: Welche architektonische Wirkung will ich erreichen? Sie markiert die Hauptmerkmale des Entwurfs, auch zur Klarstellung für mich selbst als Verfasser. Erfüllt sie meine Ansprüche an eine tragfähige Idee? Ist sie wirklich aussagekräftig, einfach und selbsterklärend? Oft überzeugt mich selbst langfristig am meisten die Idee, die sich in ganz wenigen Strichen darstellen lässt.

Die Handskizze hält die Grundidee fest, kann aber auch komplexe Sachverhalte in abstrahierter Form und die konzeptionelle Philosophie des Entwurfs darstellen. Der Vergleich zwischen erster Handskizze und gebautem Projekt zeigt häufig eine erstaunliche Übereinstimmung. Beispiel Rhein-Neckar-Arena, Sinsheim: Die Skizze ist eindeutig dreigeteilt – wolkiges, luftiges Dach, Fassade mit komponierten, dichten und weniger dichten Rechteckflächen und der in die Topographie eingelassene Sockel – von fest und schwer zu locker und leicht. Drei Jahre später erwähnt nahezu jeder Pressebericht das wie eine Wolke schwebende Dach, die Fassadengestaltung, die sich an dem Rechteckmuster der Felder in der Region orientiert, die Einbindung in die Hügellandschaft und die ebenerdigen Zugänge durch die Sockelsituation.

Die Handskizze ist ein schnelles, günstiges und sehr authentisches Mittel der Visualisierung und Kommunikation und führt fast immer zu intensiven positiven Reaktionen bei Bauherren und anderen Betrachtern. Sie ist einmalig, wirkt künstlerisch, spontan und vielleicht auch kindlich-sympathisch.

2.a Die detaillierte Handskizze – Einzelheiten als Ausschreibungsgrundlage

Die detaillierte Handskizze eignet sich bereits für die Kommunikation mit den Ausführenden. Sie zeigt erste Details und führt Einzelheiten so aus, dass daraus konkrete Planungen und Ausschreibungen folgen

 

2.b Das Aquarell – künstlerisch, stimmungsvoll, authentisch

Ein Aquarell oder eine andere Misch- oder Maltechnik vermittelt besonders gut die Stimmung von Räumen und Orten – naturgemäß etwas unpräzise erzeugt es eher ein Gefühl als eine konkrete bauliche Aussage. Ähnlich wie die Handskizze empfindet der Betrachter das Aquarell als individuelle und durch seine Einmaligkeit hochwertige Ausdrucksform. Mittlerweile kann man auch mit einigen Bildbearbeitungsprogrammen stimmungsvolle Bilder erzeugen, die stark an Maltechniken wie das Aquarell erinnern.

 

3.a Die einfache Computervisualisierung – nüchtern, simpel, räumlich

Die einfache Computervisualisierung ist eine recht „technische“ Simulierung der Wirklichkeit. Sie skizziert technische Details und simuliert grob Licht und Schatten. Sie wirkt nüchterner als Handzeichnungen und erzeugt so beim Betrachter kaum eine Stimmung. Ein Manko, das jedoch durch Nachbearbeitung gemindert werden kann. Wie alle Techniken mit ausgeprägtem Abstraktionsgrad eignet sie sich für die frühen Phasen zum Beispiel den Vorentwurf. Ähnlich wie bei der Handskizze lassen sich Ausführungsdetails noch nicht erkennen, die räumliche Wirkung eines Bauwerks lässt sich jedoch realitätsnah simulieren. Der Aufwand ist vertretbar.

3.b Computerskizze – vereint Vorteile von Handskizze und PC

Die collagierte Computerskizze wird mit einfachen Grafikprogrammen wie Illustrator oder Corel Draw erstellt. Ich verwende häufig Handskizzen als Basis, die ich einscanne und dann am PC bearbeite und ergänze. Ich kann sie colorieren und Menschen, Bäume oder Straßen aus meinem Digitalarchiv hinzufügen. Es bleibt die individuelle Zeichenhandschrift der Handskizze erhalten, gleichzeitig kann ich die Flexibilität und Variabilität des Computers nutzen. Die Korrekturmöglichkeit entspannt und lädt zu Experimenten ein, die manchmal ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Die Methode ist schnell und erlaubt auch spätere Modifikationen ohne größeren Aufwand.

3.c Das fotorealistische Rendering – simuliert bereits gebaute Realität

Die komplexe Visualisierung bzw. das fotorealistische Rendering simuliert Farben und Materialen, Lichtwirkungen und bindet den Entwurf in die Umgebung ein. Diese weitgehend wirklichkeitstreue Darstellung der Objekte verlangt nach eindeutigen Aussagen und ist daher ideal für eine fortgeschrittene Projektphase.

Das Rendering ist in der Regel aufwändig und kostenintensiv und erfordert einen hohen Grad an Spezialisierung und Erfahrung, die Auslagerung an Fachbüros ist die Regel.

Die komplexe Visualisierung ist heute ein Standard; sie kommt aber häufig zu früh zum Einsatz und legt in ihrer Konkretheit Details fest, die erst später Thema werden sollten. Das kann im Extremfall auch einmal irritierend wirken, die fotoähnliche Qualität gaukelt Gebäude fast als schon gebaut vor.

3.d Interaktive Bildmittel – durch künftige Bauten wandeln

Interaktive Bildmittel, die eine virtuelle Realität darstellen, sind zunehmend populäre Formen der Architekturdarstellung. Sie können mittlerweile als PDF-Datei praktisch von jedermann betrachtet werden. Sie stellen wahrscheinlich die Zukunft dar, dann vielleicht in dem sehr aufwändigen 3D. Herkömmliche 2D-Architekturzeichnungen (CAD), also Ansichten, Grundrisse, Schnitte, auch Details können einen „künstlerischen“, charaktervollen Duktus erhalten und dadurch über die rein technische Darstellung hinauswachsen. Sie werden bevorzugt bei Wettbewerben eingesetzt, wo es neben der Raumwirkung auch auf die emotionale Vermittlung eines Projektes ankommt. Bei aller Begeisterung für die technischen Möglichkeiten des Computers, erfreut sich die Papierform, die Simulation „zum Anfassen“, weiterhin großer Beliebtheit – auch und gerade bei den Bauherren.

Immer öfter kommen iPad und Smartphone zum Einsatz. Die neuen Geräte sind flexibel, ortsunabhängig und dank ihres Funktionsspektrums – leichtes Ein- und Auszoomen, Vergrößern oder Drehen – dynamisch, ein Vorteil beim Bauherrengespräch oder bei der Besprechung auf der Baustelle. Ob die neuen Geräte auch die Visualisierungen beeinflussen, ob man gar eigene Smartphoneversionen entwickeln wird, wie es bei Websites zu beobachten ist, muss sich erst noch zeigen.

Die Stationen des Entwurfsprozesses: erste Handskizzen – Visualisierung – Realisierung. Der Prozess zeigt, wie nahe die verschiedenen Ausdrucksformen einander sind und belegt, wie sinnvoll die Skizzen sind.

 

4 Der Film – Höhe, Breite, Tiefe und Bewegung

Der Film fügt den drei Dimensionen der 3D-Simulation als vierte Dimension die Bewegung hinzu. Er kann grob oder fotorealistisch sein und bewegliche Objekte, Lichtszenarien und Geräusche enthalten. Er erlaubt dem Betrachter, ein Gebäude von verschiedenen Blickpunkten aus zu betrachten. Um die Gebäudewirkung der Rhein-Neckar-Arena von der nahen Autobahn aus zu zeigen und ihre Schattenwirkung zu analysieren, setzten wir das Medium Film ein. Der Einsatz solcher Medien sollte angesichts des hohen Aufwandes allerdings in jedem Fall genau geprüft werden.

Der Computer ermöglicht nicht nur dreidimensionale und bewegliche Formen der Darstellung. Zunehmend überschreitet die Technik die Grenzen zwischen Planung (und ihrer Darstellung) und deren Materialisierung. So ist heute schon das 3D-Plotten von 3D-Computermodellen möglich, aber auch Bauteile können bereits per Computer erstellt werden. Vom digitalen Entwurf zur digitalen Produktion sind es nur wenige Schritte. Vielleicht können so eines Tages ganze Häuser am Bildschirm „gebaut“ werden.

 

Generalplanung und Visualisierung

Der Generalplaner hat innerhalb dieses Spektrums für jede Planungssituation das richtige bildliche Kommunikationsmittel zur Hand, um seine Leistungen oder den Planungsstand zu kommunizieren. Oft werden mit den Visualisierungen auch bereits die Fachingenieurleistungen dargestellt. Von der ersten Idee (zum Beispiel Wolkendach Sinsheim) bis zur Realisierung begleitet die Visualisierung das Projekt. Einerseits veranschaulicht also die Bildsprache die Phasen und Leistungen, andererseits ist die spezialisierte Visualisierung ein eigenes „Gewerk“ des Generalplaners.

 

Projektbeispiel Betriebsgebäude Fritz Berger AG

Beim Neubau des Logistik- und Betriebsgebäudes für die Fritz Berger AG, einem großen Spezialversandhaus für Camping und Freizeit, galt es die Hauptverwaltung, ein hochmodernes Logistikzentrum mit Hochregallager, einen Flagshipstore sowie eine Werkstatt mit Ausstellungsfläche für Wohnmobile an einem Standort zusammenzufassen und dem Gebäudekomplex eine wieder erkennbare, aussagekräftige Corporate Architecture zu verleihen.

So wie die Sprache Gedanken strukturiert, so strukturieren Bilder, Zeichnungen und Skizzen räumliche Ideen. Sie sind der Königsweg, um komplexe konstruktive und ästhetische Inhalte in einfache, verständliche Botschaften zu übertragen und diskutieren zu können.

 

1Eisenman, Peter: Aura und Exzess: zur Überwindung der Metaphysik der Architektur, Passagen-Verlag, 1995.

Peter Kuczia

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