15.08.2012

Den Energiebedarf minimiert

Pilotprojekt Geothermieanwendung im Hochschulbau

Die Ostfalia erweitert ihren Standort Salzgitter-Calbecht um ein energetisch hocheffizientes Lehrgebäude. An das Projekt wurden von Anfang an sehr hohe Anforderungen in Bezug auf den Energieverbrauch und niedrige Lebenszykluskosten gestellt. Ein mehrjähriges Monitoring soll nach Inbetriebnahme dazu dienen, die errechneten Werte zu verifizieren.

Die ehemalige Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, mittlerweile in Ostfalia umbenannt, errichtet derzeit am Standort Salzgitter-Calbecht ein Hörsaal- und Seminargebäude mit einer Fachbereichsbibliothek für den Fachbereich Medien, Sport- und Tourismusmanagement mit circa 3000 Quadratmetern Hauptnutzfläche. Die geplanten Labore und Rechnerarbeitsräume dienen vorwiegend dem Studiengang „Mediendesign“ und dem geplanten Studiengang „CSI Computersimulation im Ingenieurbau“. Ein wesentliches, das Gebäude prägendes Element ist der Videostudiobereich. Hier soll den Studierenden der Umgang mit der „Green-Box“-Technik vermittelt werden.

An das Projekt wurden von Anfang an sehr hohe Anforderungen in Bezug auf den Energieverbrauch und niedrige Lebenszykluskosten gestellt. So wurden schon im VOFVerfahren, das durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) begleitet wurde, Parameter definiert, die deutlich unter den gesetzlich vorgeschriebenen lagen.

agn konnte das für interdisziplinäre Teams ausgelobte Verfahren für sich entscheiden und erhielt im November 2008 den Zuschlag für die Generalplanung. Der anschließende Planungsprozess wurde von aufwändigen Nachweisen und Simulationen begleitet, um das vorgeschlagene Konzept detailliert darlegen zu können. Das Gebäude wurde 2012 an den Nutzer übergeben. Ein mehrjähriges Monitoring in der anschließenden Nutzungsphase soll dazu dienen, die errechneten Werte zu verifizieren.

Städtebau und Entwurf

Der Hochschulstandort Salzgitter-Calbecht ist ein ehemaliges Zechengelände im südlichen Außenbereich von Salzgitter. Neben dem umgebauten historischen Zechengebäude „Hannoversche Treue“ (Gebäude A) und dem Institutsgebäude aus dem Jahr 1999 (Gebäude B) stellt der Neubau den dritten Bauabschnitt auf dem Campus Salzgitter dar. Das Hörsaalgebäude definiert eine neue Eingangssituation zum Campus. Ausrichtung und Architektur des Baukörpers orientieren sich an den einfachen Formen der historischen Zechengebäude.

Der große Hörsaal im Rohbau

Energetische und ökonomische Aspekte können in diesem kompakten Solitär optimal umgesetzt werden. Als vorwiegendes Fassadenmaterial kommt ein Klinker zum Einsatz, wodurch auch in der Materialität der Bezug zum Bestand hergestellt wird. Im Erdgeschoss des dreigeschossigen Neubaus sind Bibliothek, Hörsaal und Videostudio untergebracht. Die Nutzungsvolumen sind so gefügt, dass ein lichter Innenraum mit zentraler Funktion entsteht; Seminarräume und Büros in den beiden Obergeschossen umschließen die innen liegenden Labor- bzw. Nebenräume und sind in Gruppen zusammengefasst.

Die Außenbauteile des als massive Skelettkonstruktion konzipierten Gebäudes führten wir dem energetischen Konzept folgend hochwärmegedämmt aus. Die transparenten Außenflächen sowohl in der Außenwand als auch im Dach sind zur Vermeidung von Wärmeverlusten und thermischer Überlastung auf ein notwendiges Maß reduziert.

Dreidimensionales Schema der energetischen Elemente

Energetisches Konzept

Von vornherein war das Hörsaal- und Seminargebäude vom Land Niedersachsen als Modellprojekt für besonders energieeffiziente Hochschulbauten geplant. Zu diesem Zweck legte der Bauherr im Vorfeld der Auslobung die zu erfüllenden energetischen Parameter fest. Sie liegen 30 bis 60 Prozent unterhalb der Energieeinsparverordnung von 2009. Einen der Hauptparameter bildet der Jahresprimärenergiebedarf, der 90 Kilowattstunden je Quadratmeter und Jahr nicht übersteigen darf. Diese Aufgabenstellung und die spezifischen Gegebenheiten der geplanten Nutzung fokussieren das technische Gesamtkonzept auf die Hauptaufgaben Heizen, Kühlen und Lüften – denn an diesen Stellen liegen die Verbrauchsschwerpunkte, die neben der Gebäudehülle und der verbrauchsoptimierten Beleuchtung die Eckpfeiler für einen wirtschaftlichen Betrieb darstellen.

Kern des Gesamtkonzeptes ist ein Erdluftregister in der Gründungszone des Gebäudes. Ein solches Erdluftregister kann man sich als Fundament mit Luftführung vorstellen. Eine zentrale Außenluftansaugung und eine im Gebäude befindliche Zuführung zu den Lüftungsanlagen gewährleisten bei der Nutzung im Winter eine Vorwärmung der Außenluft und im Sommer eine entsprechende Vorkühlung. Bei diesem System macht man sich einerseits die geothermischen Energien zunutze, die aufgrund des konstanten Temperaturniveaus über den kompletten Jahreszyklus zur Verfügung stehen und andererseits den Speichereffekt der Baumasse. Die Lage des Gebäudes erlaubt neben dem Erdluftregister zudem eine geothermische Nutzung durch Erdsonden. In der Kombination einer Betonkernaktivierung mit Heizkörpern ergibt sich für die unregelmäßig genutzten Räume ein Optimum aus sinnvoller Nutzungsanpassung und möglicher Verbrauchsoptimierung – denn das Gebäude wird von einer effektiven Hülle umgeben und mithilfe der Betonkernaktivierung auf eine Grundtemperierung gebracht, womit die energetische Basisversorgung hergestellt ist.

Im Zuge der Entwurfsplanung stellten wir eine energetische Variantenuntersuchung an, in deren Rahmen neben dem klassischen Wärmeschutznachweis mehrere Anlagenvarianten untersucht und bewertet wurden. So stellten wir die Energiegewinne aus dem Erdluftregister dar und simulierten die Temperaturverläufe im Sommer- und Winterfall in den Seminarräumen unter verschiedenen Bedingungen.

Die Prinzipien der Planung lassen sich wie folgt zusammenfassen:

- kompaktes Gebäudevolumen mit kleinem A/V-Verhältnis mit hochwärmegedämmter Hüllfläche

- optimiertes Verhältnis der transparenten Bauteile beim Wechselspiel zwischen Transmissionswärmeverlusten und natürlicher Belichtung

- Vorkonditionierung der Außenluft (Erwärmung im Winter/Kühlung im Sommer) über ein Erdluftregister

- Nutzung von Geothermie (Wärme und Kälte) über Erdwärmesonden und Verteilung über Betonkernaktivierung der Massivdecken

Im Zuge der Variantenuntersuchung stellte sich heraus, dass die Vorgabeparameter nur in dieser vorgeschlagenen Anlagenkonfiguration einzuhalten sind.

Zugang zu den Hörsälen, Rohbauzustand

Mehrwert Generalplanung

Derartig hohe energetische Anforderungen ziehen für fast alle Bauteile Konsequenzen nach sich – was bedeutet, dass alle Fachplaner die Bauteile von Anfang an auf Funktionalität und Realisierbarkeit prüfen mussten. Ein Beispiel für interdisziplinäres Planen ist das Erdluftregister. Hier untersuchten wir mehrere Varianten hinsichtlich ihrer Bauweise (in Ortbeton oder als Fertigteil) und hinsichtlich der Lage (unter dem Gebäude oder außerhalb). Als günstigste Variante im Hinblick auf Bauzeit, Baukosten und Energieeffizienz erwies sich die Ortbetonvariante unterhalb des Gebäudes. Diese hatte zugleich massiven Einfluss auf die statisch-konstruktive Ausbildung der Gründung.

Ein weiteres Beispiel ist die Planung der Geschossdecken: Um die Niedertemperatursysteme der Geothermie effektiv nutzen zu können, sind großflächige Speichermassen notwendig. In unserem Fall werden in die Geschossdecken aus Stahlbeton Leitungen zum Heizen und Kühlen eingebracht, die sogenannte Betonkernaktivierung. Dieser energetische Vorteil hat Einfluss auf alle anderen Fachplanungen, von der Tragwerksplanung über die Technische Gebäudeausrüstung und Elektroplanung bis zur Akustikplanung.

Die Decken verfügen aufgrund ihrer Nutzung als Seminarraum über relativ große Spannweiten, die bei konventioneller Bauweise eine Deckenstärke von 60 Zentimeter zur Folge gehabt hätte. Durch die Planung mit Hohlkörperelementen, die das beim Beton kritische Eigengewicht verringern, konnte die Deckenstärke auf 35 Zentimeter reduziert werden. Durch den Einsatz der Hohlkörper musste die Höhenlage der Betonkernaktivierung verschoben werden, woraus eine Änderung der Heiz- und Kühlleistung und der Speicherfähigkeit resultierte. Um thermisch wirksam zu sein, muss die Deckenuntersicht unverkleidet sein. Das wiederum bedeutet, dass die bei konventioneller Bauweise akustisch wichtige Unterdecke durch eine Wandverkleidung kompensiert wird. Da die wasserführenden Leitungen in der Decke nachträgliche Bohrungen verbieten, konnten alle Deckeninstallationen (Beleuchtung, Beamer und Kühlbalken) ausschließlich in einem einbetonierten Schienensystem befestigt werden. Dieses Schienensystem und das dazugehörige Leerrohrsystem mussten punktgenau geplant werden.

Nicht zuletzt am Beispiel der Decke zeigt sich, dass eine so komplexe Planung nur dann zu einem ausgereiften Ergebnis kommt, wenn Architekten und alle beteiligten Fachplaner von Beginn an gleichberechtigt und eng koordiniert zusammenarbeiten.

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