15.08.2012

Bauen im Bestand mit vernetzten Disziplinen

Integration von Kostensicherheit, Reversibilität und Dauerhaftigkeit

Aus Alt und Neu funktional und ästhetisch ein neues Ganzes zu formen und dabei neue Technologien zu integrieren, ist eine Herauforderung für jeden Planer. Hier hat der Generalplaner, der unter seiner Regie alle nötigen Fachdisziplinen vereint, die besten Erfolgsaussichten.

Bestehende Gebäude – und nicht alleine denkmalgeschützte – zu erhalten, ist nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch sinnvoll. Nicht immer gibt der wirtschaftliche und energetische Aspekt den Ausschlag für die Sanierungsentscheidung. Manchmal spielen auch die Geschichte des Hauses, die Qualität der Architektur, die Umgebung oder die städtebauliche Einbindung eine bedeutende Rolle. Alt und Neu miteinander zu verbinden, respektvoll mit dem Bestand umzugehen und offen zu sein für neue Technologien, das fordert den planenden Architekten. Hier hat der echte Generalplaner die besten Voraussetzungen, vereint er doch alle nötigen Fachdisziplinen, kann also vom ersten Projekttag an im interdisziplinären Team auch übergreifende Fragen behandeln. Der eigentlichen Planung geht die Erkundung des Bestandes voraus, das heißt Konstruktion, Materialien sowie die bauphysikalischen und energetischen Eigenschaften sind zu untersuchen und zu bewerten. Die bewertende Zusammenschau aller Grundlagen entscheidet darüber, ob eine Sanierung und Ertüchtigung des Gebäudes als möglich und sinnvoll eingestuft wird.

Zuhören, sehen und begreifen

Der Planer muss ein Gebäude mit seiner gesamten Anamnese begreifen. Beim Denkmal kommen die geschichtliche Dokumentation und deren baurechtliche Bedeutung hinzu. Dabei hat sich der Planer mit den Schäden, ihren Ursachen und zurückliegenden Reparaturen am Gebäude auseinanderzusetzen. Eine Aufgabe für den Baumeister der Neuzeit, den Generalplaner, denn hier sind alle wichtigen Fachdisziplinen gefragt. Wir verstehen uns als Vermittler zwischen den Werten des Bestehenden und der neuen Nutzung. Voraussetzung dafür sind ein ausgeprägter Respekt gegenüber der Historie eines Gebäudes und die Fähigkeit, neue Gestaltungselemente sensibel hinzuzufügen. Besonders deutlich wird dies im Umgang mit denkmalgeschützter Bausubstanz. Eine gelungene Sanierung nutzt die Potenziale der bestehenden Substanz, belässt sie so weit wie möglich und nimmt nicht ohne Not eigenmächtige Korrekturen vor. Neue Bauteile werden klar ablesbar gestaltet und behutsam in den Gesamtkontext integriert. Es gilt, das scheinbar Widersprüchliche zu erreichen: Die Anpassung des Gebäudes an moderne Nutzungsanforderungen bei weitgehender Vermeidung massiver Eingriffe. Sie sind zwar nötig, bleiben aber nahezu unsichtbar. Der sanierte Gebäudekomplex bleibt beeindruckendes Zeitzeugnis und ist durch das Nebeneinander von historischem Original und modernen Ausstattungen technisch und funktional auf der Höhe der Zeit.

Beim Kloster Gravenhorst, einem ehemaligen Zisterzienserinnenkloster aus dem Jahre 1256, galt es behutsam vorzugehen, um die einzelnen Zeitschichten und Spuren sichtbar zu machen. Dabei leitete uns der Satz von Bernhard von Clairvaux: „Keine Tugend ist für uns wichtiger als die der Einfachheit.“

Kern des generalplanerischen Ansatzes ist es, alle Aspekte eines Gebäudes zu berücksichtigen, auch weit über die Architektur hinaus. Klimakonzepte zu entwickeln, die zu einem alten Gemäuer passen, gehört ebenso dazu wie Überlegungen, wie markante Bauteile architektonisch herausgearbeitet und Licht atmosphärisch eingesetzt werden können. Das Kloster weist eine besonders heterogene und lebendige Baugeschichte auf, die im Mittelalter begann und in Renaissance, Barock und Neuzeit weitere Akzente erfuhr. Trotz aller Überformung und Nutzentfremdung ist der Geist der Zisterzienserarchitektur jedoch nie ganz verschwunden. Hier knüpft unser Sanierungskonzept an, denn es orientiert sich ausdrücklich an den zisterziensischen Ordensmaximen Einfachheit und Rationalität.

Diesem klaren Leitbild ist es zu verdanken, dass die Anlage heute wieder die formale Schlichtheit und gestalterische Strenge ihrer Gründer ausstrahlt. Die modernen Bauteile, Materialien und Details unterstützen den puristischen Charakter der ursprünglichen Anlage.

Vor der Sanieriung

So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Ein solch sorgsamer Umgang mit dem Bestand sollte sich keineswegs auf jahrhundertealte historische Bauten beschränken. Auch die Sanierung sehr viel jüngerer baulicher Zeugnisse, etwa aus den 1970er Jahren, erfordert Einfühlungsvermögen und ein Gespür dafür, ob ein Gebäude Qualitäten besitzt, die es aufzugreifen und zu modernisieren lohnt.

Die Technik der frühen 1970er Jahre ist allemal überholt und entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Die energetische Ertüchtigung liegt jedoch nicht alleine in der Forderung nach Dämmung und einer Pudelmütze für das Haus. Stattdessen gilt es, neu zu denken, neu zu konstruieren und Ideen zu schaffen. Nicht jede Nutzung und nicht jede neue Technologie muss sinnvoll und verträglich für ein Projekt sein – denn kein Gebäude ist so einzigartig wie ein Sanierungsprojekt. Entsprechend individuell muss daher auch die technische und architektonische Lösung sein.

Innenfassade des Saals im Kunsthaus vom Kloster Gravenhorst nach der Sanierung

Bei Denkmälern und in der Architektur erhaltenswerten Gebäuden sollte sich der Planer bewusst zurücknehmen, ganz im Sinne von Mies van der Rohes Leitsatz „Less is more“. Das gilt auch für die Technik: Intelligente Lowtech-Konzepte sind das Gebot der Stunde. Nicht das Machbare tun, sondern das Sinnvolle umsetzen, muss das Motto sein. Wirtschaftliche und effiziente technische Lösungen sind oft ganz einfach und erstaunlich „technikarm“. Der Generalplaner profitiert in diesem Zusammenhang deutlich vom Fachingenieurkollegen, der vielleicht genau diese Lowtech-Lösungen entwickelt, analysiert und umsetzt und der diese Ideen und Konzepte dem Kollegen Architekten nahebringen und auf das Projekt anwenden kann.

Ein Zeitzeugnis der sakralen Nachkriegsmoderne ist die 1965 geweihte St. Bonifatius-Kirche in Münster. Gerade einmal 40 Jahre währte ihre sakrale Nutzung. 2006 erhielt agn den Auftrag, das Gebäude als Bürohaus für den kirchennahen dialogverlag umzubauen. Diese einschneidende Nutzungsänderung und die denkmalpflegerischen Anforderungen in Einklang zu bringen, war die architektonische, technische und funktionale Herausforderung. Bei der von uns gewählten Lösung stehen die Ebenen der Büronutzung frei in der Kirchenhalle. Ein Rückbau der eingefügten Konstruktion wäre dadurch prinzipiell möglich – ein Aspekt, der bei der Wettbewerbsentscheidung wesentlich zum Votum für das agn-Konzept beitrug. In der Bewertung des Preisgerichts heißt es: „Die Entwurfsidee, tischartige Elemente in den vorhandenen Kirchenraum einzustellen, [...] erreicht die deutliche Erlebbarkeit des vorhandenen Raumes. Die denkmalgeschützte Bausubstanz wird erhalten, wobei insbesondere der Gesamtraumeindruck unter Beibehaltung des oberen Raumabschlusses (Decke) gewürdigt wird.“

Die Belüftung und Klimatisierung dieser offenen, bis unter das Kirchendach reichenden Nutzungseinheit erfolgt über Fußbodenheizungen sowie eine Umluftanlage, die warme Luft in oberen Bereichen absaugt und im Erdgeschoss wieder zuführt. Einfache Lösungen wie diese ermöglichen eine uneingeschränkte und wirtschaftliche Nutzung des Großraums als Verlagshaus.

Der Planungsprozess – frühzeitige Kostenkalkulation

Bereits in der Leistungsphase 1, der Grundlagenermittlung, unterscheidet sich die Vorgehensweise beim Bauen im Bestand stark vom Neubau: Über die handwerklichen Selbstverständlichkeiten wie Bestandsaufnahme und Bestandsbewertung hinaus ist die Beschäftigung mit Bedarf und Nutzungsabsichten des Bauherrn entscheidend für die erfolgreiche Umsetzung der Sanierungsaufgabe. Budgetermittlung und Budgetvorgaben spielen dabei eine bedeutende Rolle.

Bereits am Anfang der Leistungsphase 2, der Projekt- und Planungsvorbereitung, ist es sinnvoll, Sanierungsprojekte mit überschlägigen Kosten zu kalkulieren, um die weitere Planung zielgerichtet umsetzen zu können.

Die Gefahr einer Mehrfachplanung ist bei nicht strukturiertem Vorgehen sehr groß, beispielsweise durch versteckte Baumängel, die erst im Laufe des Planungsprozesses erkennbar werden. Deshalb sollte die sogenannte „zerstörende Bestandsuntersuchung“ einer der ersten Schritte sein. Der Charakter einer „Operation am offenen Herzen“ – also dem Regelfall beim Bauen im Bestand – ist ebenfalls bereits in der Leistungsphase 2 zu berücksichtigen.

Für einen erfolgreichen Planungsprozess hängt viel davon ab, wie Bauabschnitte gebildet werden können. Sind zum Beispiel Interimsmaßnahmen wie Container nötig oder stehen andere Ausweichquartiere zur Verfügung? Auch der Gebäudetypus bestimmt die Abwicklung. Ein Krankenhaus bei laufendem Betrieb zu sanieren, erfordert eine andere Vorgehensweise als die abschnittsweise Sanierung eines Schulgebäudes.

Die vorgenannten Punkte setzen voraus, dass die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Architekten mit den Fachingenieuren in zeitlich enger Abstimmung erfolgt. Ein jeweils hintereinander geschaltetes Planen mit unabhängigem Abarbeiten der Leistungsphasen birgt die Gefahr der Doppelarbeit. Vielmehr ist paralleles und simultanes Arbeiten gefordert, um konstruktive Entscheidungen im Planungsprozess zeitnah zu realisieren.

Der Generalplanungsauftrag ist daher bei Sanierungsprojekten klar im Vorteil gegenüber Einzelbeauftragungen. Hier können die Zusammenarbeit und die Abstimmung im interdisziplinären Team erfolgen. Frühzeitiger Austausch, die Einbeziehung neuer Ideen und fachlicher Spezialkenntnisse, das „Kurshalten“ und Korrigieren sind ganz alltägliche Bestandteile des generalplanerischen Arbeitens.

Modell mit „Tischeinbau“ der St. Bonifatius-Kirche

Erfahrungshorizont Kostenermittlung

Eine Kostenermittlung für das Bauen im Bestand durchzuführen, erfordert viel Know-how und Erfahrung. Viele Bauherren erwarten auch bei Sanierungsaufgaben Kostensicherheit, oft sind die Verträge mit einem Kostenbudget und einer Obergrenze versehen.

Die strategische Vorgehensweise unter dem Diktat von Kosten und Qualitäten, sowohl in der Architektur als auch in der baulichen und technischen Umsetzung, macht eine von der HOAI abweichende Vorgehensweise notwendig: Die schrittweise Annäherung an die Aufgabenstellung in den Leistungsphasen 1 und 2 setzt voraus, dass Architekten und Ingenieure bereits in dieser frühen Phase Hand in Hand arbeiten. Eine früh abgestimmte und begleitende Kostenplanung ermöglichen es Bauherrn und Planer, Zielvorstellungen neu zu justieren und zu formulieren. Überschlägige Kostenermittlungen, wie es bei Neubauten durch Erfahrungswerte geschieht, sind risikobehaftet und daher eher zu vermeiden. Bei Sanierungsvorhaben wird die Elementmethode in Verbindung mit abgeschlossenen Sanierungspaketen besonders wichtig – das heißt, sinnvolle Sanierungspakete zu schnüren, die aufeinander abgestimmt sind und in sich einen schlüssigen Sanierungsblock ermöglichen. Das Zusammenführen dieser Tools mit ihren klaren, abgeschlossenen Einheiten ergibt ein Sanierungskonzept mit Kosten und Qualitäten für die Durcharbeitung der weiteren Leistungsphasen.

Trotzdem bleiben unvorhergesehene Risiken. Das können zunächst nicht erkennbare Mängel sein, die zwar vermutet, aber noch nicht in ihrer Dimension kalkulierbar sind. Sie gilt es einzuschätzen und im Kostenkonzept zu berücksichtigen. Ein Risikomanagement ist sinnvoll, weil nur so Kostensicherheit erreicht werden kann. Ein mit dem Bauherrn für diese Risiken abgestimmtes Budget kann im Laufe des Projektes bei fortgeschrittener Planung und gutem Bauverlauf für Qualitätserhöhungen oder sonstige, optionale Sanierungselemente verwendet und aufgelöst werden.

Das Projekt Stadtarchiv Stuttgart, ein denkmalgeschütztes, früheres Lagergebäude, das zum Archiv umgenutzt werden sollte, war bereits beim VOF-Auswahlverfahren mit einer Kostenobergrenze versehen. Bei einem Sanierungsprojekt ohne vorherige reale Planung Kostensicherheit zu versprechen, stellt für den Planer ein großes Risiko dar. Nur durch das interdisziplinäre Zusammenwirken von Ingenieuren und Architekten des agn-Teams war es möglich, die Risiken zu bewerten und dem Bauherrn noch vor der Beauftragung eine Kostenobergrenze zu garantieren.

Kosten, Qualitäten und Funktionalität in Einklang zu bringen, erfordert eine sorgfältige und intensive Bauherrenund Nutzerabstimmung. Nur die Generalplanung ist dieser komplexen Aufgabe gewachsen.

Das Stadtarchiv zeigt, dass sowohl die architektonische Aufgabe als auch die technischen und energetischen Planungen umgesetzt wurden. Eine Besonderheit ist der Eisspeicher, der nicht nur kühlt, sondern auch heizt. Das ist in diesem Fall effektiv, weil ein Archiv konstante klimatische Bedingungen erfordert und in den Räumen nur minimale Temperatur- und Feuchteschwankungen akzeptabel sind. Das hier praktizierte Zusammenspiel ermöglicht, dass die gesetzte Budgetobergrenze punktgenau eingehalten wurde. Nicht nur das Projekt steht im Vordergrund, sondern auch seine wirtschaftliche Abwicklung. Sie erfordert viel Erfahrung und Know-how. Möglich wird das, wenn ein Projektleiter, also ein Ansprechpartner für alle, die Fäden zusammenhält.

Baumeister der Neuzeit

Bei der Sanierung und Ertüchtigung bestehender Bauten kann der echte Generalplaner wie nirgendwo sonst seine Stärken ausspielen. Die Baumeister früherer Jahrhunderte waren in vielem Vorbild für heutiges generalplanerisches Denken und Handeln. Wir tun gut daran, uns dieser handwerklichen Grundlagen und Selbstverständlichkeiten zu besinnen: Bei vielschichtigen Bauten helfen nicht immer DIN-Normen und der „Stand der Technik“, sondern klare und pragmatische Ansätze, sonst bleiben ökologisch und ökonomisch sinnvolle Sanierungslösungen auf der Strecke und volkswirtschaftlichen Werten droht die Zerstörung.

Saal des Kunsthauses mit eingestelltem Treppenkubus, Kloster Gravenhorst

Ähnliche Projekte und Magazinthemen