Architektur im Kontrapunkt

Eine Kubatur, zwei Gebäude: Der geplante Forschungskomplex aus den Neubauten Center for Research on Inflammation of the Skin (CRIS) und Zentrum für medizinische Struktur- und Zellbiologie (ZMSZ) ist der krönende Abschluss der baulichen Entwicklung auf dem Campus der Universität zu Lübeck (UzL).

Matthias Jacubasch | Dieter Greve | Sarah Niesert

Die Universität zu Lübeck (UzL) hat sich als Fokus-Universität an der Schnittstelle von Medizin, Naturwissenschaft und Technik international etabliert. Der humboldtschen Bildungsidee der Einheit von Forschung und Lehre verpflichtet, setzt die Uni ihren Fokus auf die Bündelung ihrer Kräfte und einen interdisziplinären Austausch. Mit dem Bau eines Zentrums für Forschung und Lehre schließt sie die in einer Zielplanung von 2011 festgelegte Campusentwicklung ab. Der Neubau setzt das Leitbild der Universität wie auch die fachliche Ausrichtung der Institute baulich in Szene und vereint spielerisch vermeintlich unüberbrückbare Gegensätze.

Beim Gang über das Lübecker Campusgelände kann es künftig nicht schaden, die eigenen Schritte zu verlangsamen, die Kopfhörer einzustöpseln und im Musikkatalog Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 4 anzuwählen. Warum diese Empfehlung - weil die Architektur des dort entstehenden Gebäudekomplexes, zusammengesetzt aus den zwei Neubauten „Center for Research on Inflammation of the Skin (CRIS)“ und „Zentrum für medizinische Struktur- und Zellbiologie (ZMSZ)“, vieles zu bieten hat, das sich nicht auf den ersten, flüchtigen Blick erschließt. Forschergeist und die Bereitschaft tief einzutauchen sind gefragt, will man dieses Bauwerk verstehen, denn wie Einstein sagte: “Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.” In diesem Geiste greift das architektonische Konzept das Prinzip der Dialektik auf, bei dem These und Antithese ringen, um letztlich in der Synthese ihre Auflösung zu finden.

Im Fokus das Leben

Die UzL ist eine junge Fokus-Universität. 1964 als Medizinische Akademie gegründet, bietet sie neben dem Studiengang Humanmedizin mehrere naturwissenschaftliche Studiengänge aus dem Bereich der Biowissenschaften an. An der Schnittstelle von Medizin, Naturwissenschaft und Technik tragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität zu Lübeck in interdisziplinärer Zusammenarbeit durch Entwicklung neuer Technologien und Behandlungsformen zum gesellschaftlichen Fortschritt bei. Um die Interaktion zu fördern, wurden die Fakultätsgrenzen vollständig aufgehoben.

In den Jahren 2010/11 steckte die Universität mit einer Zielplanung die Eckpunkte für die strategische Entwicklung des Campus ab. Ziel der Planung war und ist es, den Campus zu einem identitätsstiftenden Ort auszubilden, der Lehre, Forschung und Krankenversorgung zu einer Einheit verschmelzen lässt. Die räumliche Nähe der Institute zueinander und zum Universitätsklinikum sowie der enge interdisziplinäre Austausch schaffen ideale Voraussetzungen für Innovationen.

Die Zielplanung definiert zentrale stadträumliche Gestaltungselemente. Das Entrée an der Marie-Curie-Straße wird ebenso benannt, wie die Stärkung der daran anschließenden, ost-westlich verlaufenden Campus-Magistrale. Als Grünraum ausgebildet, ermöglicht die Erschließungsachse eine vielseitige Nutzung und vernetzt die benachbarten Institute miteinander.

Zusammen mit den Bestandsgebäuden der Uniklinik, der Mensa und des Fraunhofer Institutes sowie der Biomedizinischen Forschung (BMF) und des Center of Brain, Behavior and Metabolism (CBBM) arrondiert und strukturiert der neue Forschungskomplex CRIS/ZMSZ zukünftig den Campusraum entlang der zentralen Achse.

Lebt alles in sanftester Ruh

Da ZMSZ und CRIS unterschiedliche Inhalte prägen und auch aus unterschiedlichen Quellen finanziert werden, war die bauliche Trennung unumgänglich. So wurde entschieden, die beiden Institute als eigenständige Gebäude, Rücken an Rücken, auf dem Baufeld zu platzieren, um die benötigten Flächen im beschränkten Bauraum optimal ausnutzen zu können.

Projektvorstellung: Passgenau fügt sich der Neubau in das Konglomerat der Umgebungsbauten. Der geplante Baukörper umfasst ein fünfgeschossiges Volumen von 38 x 80 Meter mit einer Nutzfläche von 4.500m² beim ZMSZ und 2.600m² beim CRIS.

Die zwei Neubauten schließen sich zu einem Baukörper zusammen und stellen den raumbildnerisch letzten und nicht zuletzt durch die zentrale Lage „krönenden“ Baustein des universitären Clusters dar. In Absprache mit dem Stadtplanungsamt Lübeck wurde die Baulinie der Bibliothek als Flucht für den Baukörper festgelegt und so das Baufeld verlängert, um die Raumprogramme der beiden Bauteile unter Beibehaltung der 5-Geschossigkeit realisieren zu können. Das für einen Forschungsbau imposante Volumen von insgesamt 38 Metern Breite und 80 Metern Länge fügt sich ganz selbstverständlich in das Gebäudeagglomerat der Bestandsbauten und Bestandsfoyers ein. Allein durch Materialität und Oberflächenstruktur komplimentieren die beiden Neubauten Ihren Kontext.

Welle oder Teilchen

Eine zentrale gerade Erschließungsachse führt durch den Haupteingang im Norden in das Gebäude hinein und im Süden zwischen den vorklinischen Instituten wieder hinaus. Das durchlaufende Foyer im Erdgeschoss ermöglicht den Zugang zu den Instituten über die institutseigenen Lichthöfe sowie die nordsüdliche Verknüpfung des Gesamtareals. Die Durchlässigkeit des Campus mit den dort vorhandenen Erschließungen und Wegebeziehungen wird so erhalten und eine zukünftige bauliche Entwicklung im Campusrückraum befördert.

Das Erdgeschoss des Forschungs- und Lehrgebäudes mit seinem durchlaufenden Foyer ermöglicht die innere Durchwegung und damit auch die nordsüdliche Verknüpfung der zentralen Campusmeile mit dem rückwärtigen Erweiterungsbereich.

Die meisten Nutzer der Gebäude CRIS und ZMSZ betreten den Komplex durch den Haupteingang am Campuspark auf der Nordseite. Von der Erschließungsachse abbiegend erreichen die Probanden, Besucher und Mitarbeiter des CRIS dann das Atrium, das mit eigenen Aufzugsanlagen und einer alle Geschosse übergreifenden repräsentativen Treppe ausgestattet ist.

In dem geplanten Forschungszentrum bildet sich jeder Funktionsbereich in einem eigenen Atrium ab. Die Mittel- und Kommunikationszone zwischen CRIS und ZMSZ schafft Blickbeziehungen und Synergieeffekte ohne die räumliche Zuordnung zu verwirren.

Die Rätselhaftigkeit im scheinbar Einfachen

Im Inneren wird die Autonomie der Gebäude durch die Ausbildung von zwei eigenständigen Atrien unterstrichen, die der Orientierung, Belichtung und vertikalen Erschließung dienen. Um die unterschiedlichen Nutzer auch im Grundriss klar hervorzuheben, sind die Lichthöfe von CRIS und ZMSZ horizontal gegeneinander verschoben. Allein in der Mittel- und Kommunikationszone entsteht so eine räumliche Verschränkung. Der schmale Spalt reicht jedoch aus, um Synergien zu schöpfen - wie die Unterbringung der zentralen Kommunikationsflächen – also Teeküchen, Besprechungsbereiche und gemeinsame Nutzung von Treppenhäusern im Brandfall. Das Konzept zielt darauf ab, die Interaktion und den Austausch aller Nutzer der unterschiedlichen Bereiche im Gesamtgebäude zu fördern, ohne das Zugehörigkeitsgefühl in den Instituten zu untergraben. Zudem bringen die vielfältigen Sichtbeziehungen die Forschung in das räumlich erlebbare Zentrum des Hauses.

Das ZMSZ beinhaltet zwei eigenständige Funktionen – Forschung und Lehre. Durch die Verschiebung des Atriums in horizontaler Richtung werden sie visuell voneinander getrennt.

Die Laborlandschaften  bieten Flexibilität, kurze Wege und ermöglichen optimierte Arbeitsabläufe. Die Blickbeziehungen zwischen Laboren und den Atrium machend die Forschungstätigkeiten sichtbar – auch für den den Campus durchquerenden Publikumsverkehr.

Milliarden Tropfen eines Regenbogens

Die schillernde Fassade des universitären Komplexes lädt die Passanten zum Entdecken und Erforschen ein. Über den Campus flanierend nimmt der Betrachter zunächst einen Farbwechsel in der Fassade wahr: während das ZMSZ in silbergrauen Nuancen erscheint, leuchtet das CRIS in goldbeige. Die Architekten haben für die Fassaden des neuen Baukörpers einen subtilen Gestaltungsansatz gewählt, der mit Tiefe und Multilevel-Erfahrung spielt. Zwar sind die Fassaden der beiden Gebäude gleichartig konstruiert und verleihen dem Komplex durch die bündige Verglasung Transparenz und Leichtigkeit, doch lassen sich anhand von Farbwechsel, Brüstungshöhe und Lage der Fensterbänder die Gebäudeteile und Funktionsbereiche ablesen. Mit Doppeldeutigkeit und Hintersinn stellt die immer im Wandel befindliche architektonische Hülle die Funktion des Gebäudes dar.

Die repräsentative Treppe im Atrium des ZMSZ verbindet nicht nur die Forschungsbereiche Virologie, Biochemie und Biologie miteinander sondern dient auch als akustischer Absorber.

Realisierbar wird das Konzept durch den gezielten Einsatz von Prismenglas. Eine wesentliche Eigenschaft dieses Materials ist, dass es je nach Blinkwinkel Transparenz entwickeln kann. Während es bei einem spitzen Blickwinkel weiss erscheint, ist es bei einem frontalen Blickwinkel durchlässig. Diese Eigenschaft machen sich die Architekten zunutze, indem sie die Fensterbänder in der Fassade mit Klarglas ausstatten und Brüstungen wie Stürze mit vorgehängtem Prismenglas verkleiden. Derart kaschiert löst die in zweiter Ebene liegende Wärmedämmung ein Farbspiel aus, welches den Gebäuden ein je nach Perspektive, Tageszeit und Wetter wechselndes Erscheinungsbild gibt.

Eine wesentliche Eigenschaft des Prismenglases ist, dass es je nach Blinkwinkel dahinterliegende Objekte und Personen abbildet, oder auch nicht abbildet.

Kein weltlich Getümmel

Auch in den Atrien sorgt die geschossübergreifende Verwendung von Profilglas dafür, dass die Konturen des Raumes und einzelner Bauteile in der Spiegelung verschwimmen. Positionswechsel werfen kaskadierend neue Fragen auf und so endet das Spiel des Betrachters mit Blickwinkel, Lichtsituation und Abstand unweigerlich in der Unschärfe. Innen und außen. Unisono.

AuftraggeberLand Schleswig-Holstein, vertreten durch: GMSH AöR
Architektagn

 

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