06.09.2021

Agilität im komplexen Bauprojekt

Erfolgreiche Projekte leben von guter Kommunikation. Umso wichtiger sind Ansätze, sie gezielt zu nutzen, Akzeptanz zu schaffen und Mehrwerte zu generieren.

Im Interview sprechen Bauherrenvertreter Tim Lüdrichsen, Kommunikationsexpertin Kerstin Eisenschmidt und Architekt Michael Specht über ein komplexes Bauvorhaben mit vielen Stakeholdern und die Vorteile einer tief verankerten agilen Beteiligungskultur

Herr Lüdrichsen, das Land Schleswig-Holstein hat sich viel vorgenommen: Bis 2022 wird ein Drittel, bis 2026 ein weiteres Drittel der universitären Gebäude der CAU Kiel neu errichtet oder saniert. Als Leiter des Referats „Strategische Bauplanung“ fungieren Sie im Rahmen der Sanierung der Fakultätenblöcke als Vertreter der Nutzerseite. 

 

Was ist aus Ihrer Sicht das Kennzeichnende dieses Projekts?

TL: Das Projekt ist nicht nur in Bezug auf seine Größenordnung bemerkenswert – es ist mit einem Etat von 100 Millionen Euro das zurzeit größte Projekt des Landes Schleswig-Holstein. Es ist auch in Bezug auf die Umsetzung höchst ambitioniert.

Inwiefern?

TL: Insgesamt wird die Sanierung aller vier Fakultätenblöcke rund 3,7 Hektar Nutzfläche umfassen. In dieser Größenordnung ist das Sanierungsvorhaben im schleswig-holsteinischen Hochschulbau einmalig. Die einzelnen Fakultäten werden sukzessive umziehen müssen. Ermöglicht wird dies dadurch, dass die juristische Fakultät demnächst das neu errichtete Juridicum beziehen wird und somit Ausweichflächen entstehen und dann schrittweise saniert werden kann. Das wird mit großem organisatorischen Aufwand einhergehen, der von den Beteiligten auch mitgetragen werden muss. Dies gilt natürlich auch für die räumlichen Veränderungen, die anstehen. Die Fakultätenblöcke stammen aus den 1970er Jahren. Die Architektur dieser Zeit hat mit dem Verständnis heutiger Lern- und Arbeitswelten nicht mehr viel zu tun. Die neuen Fakultätenblöcke werden sich von den bisherigen sehr unterscheiden. 

Was bedeutete dies für Ihre Herangehensweise an das Projekt?

TL: Für uns war es von Anfang an wichtig, in Bezug auf die Nutzer eine echte Beteiligung herzustellen. Zum einen, um Akzeptanz zu erreichen, zum anderen aber auch, um wertvollen Input für die Planung zu erhalten. Das Nutzerspektrum setzt sich bei diesem Projekt ja aus sehr unterschiedlichen Gruppierungen zusammen. Es gibt die Akteure aus dem Bereich Lehre, es gibt die Verwaltung und natürlich die Studierenden. Alle drei Gruppierungen sind sehr divers, haben eigene Funktionen und Identitäten. Da weichen Ansprüche und Erfahrungswerte deutlich voneinander ab. Aus diesem Grund haben wir den Aspekt der Kommunikation mit den Nutzern auch von vorneherein als wichtigen Bestandteil des Gesamtprojekts betrachtet und bewusst in unsere Planungsstrategie und die Auswahl der Architekten eingebettet.

Herr Specht, fiel dieser Gedanke bei Ihnen von vorneherein auf fruchtbaren Boden?  

MS: Bei uns ja. Denn natürlich gehört es zu unserem Leistungsverständnis dazu, innerhalb eines Projekts Kommunikation zu ermöglichen beziehungsweise zu optimieren und auch den Nutzer einzubeziehen. Aber hier stand doch eine Aufgabenstellung im Raum, die in puncto Methodik und Qualifizierung von dem gewöhnlichen Repertoire abwich, da zum Beispiel explizit Vorschläge zu einer „gelebten Fehlerumgangskultur im Projekt“ abgerufen wurden. Das fanden wir hochinteressant. Gleichzeitig stand die Frage im Raum, ob wir die angeforderte Leistung selbst abbilden können oder Unterstützung von außen einholen. Wir haben uns für Letzteres entschieden. Auch um ein klares Signal zu setzen, dass wir die grundsätzliche Haltung hinter diesem Teil der Ausschreibung begriffen haben.

In welcher Hinsicht?

MS: Kommunikation nicht als etwas Selbstverständliches zu sehen, sondern als Aufgabe, die explizit zu gestalten ist. Und das nicht punktuell, sondern tatsächlich projektbegleitend und die unterschiedlichen Beteiligten miteinander in Bezug setzend. Das war aus unserer Sicht doch sehr bemerkenswert und ging auch mit einem spezifischen Anforderungsprofil einher. Denn es stellte sich ja die Frage, wie man dieses Anforderungsprofil umsetzen würde.

An dieser Stelle kamen Sie ins Spiel, Frau Eisenschmidt. Wie würden Sie Ihre Funktion im Projekt beschreiben?

KE: Es geht um eine faktische, aber auch um eine ideelle Ebene. Faktisch bringen wir uns mit der Gestaltung und Moderation von Workshops ein, die darauf ausgerichtet sind, die Beteiligten des Projekts auf Seiten der Nutzer mit den Planern zusammenzuführen und gemeinsame Ziele und Maßnahmen zu erarbeiten. Ideell geht es aber auch darum, übergeordnete Spielregeln zu etablieren, die als Leitplanken für die projektinterne Kommunikation dienen können. Und zwar über die Workshops hinaus.

Können Sie das konkretisieren?

KE: Herr Lüdrichsen hat den Aspekt der Diversität ja bereits angesprochen – Professorinnen und Professoren haben andere Vorstellungen, wie Lernraum auszusehen hat, als junge Menschen, die in Bezug auf Funktionalität und Interaktion ganz andere Maßstäbe haben. Das ist nicht nur ein Generationenkonflikt, da geraten auch inhaltliche Vorstellungen aneinander. Gepaart mit hierarchischen Strukturen kann es ausgesprochen schwer sein, in einen konstruktiven Austausch zu kommen – aber genau das war hier das Ziel. Von allein läuft das nicht, es muss ein Rahmen gesetzt werden, der die bestehenden Schranken außen vor lässt und es den involvierten Personen ermöglicht, sich ohne Schere im Kopf zu bestimmten Fragestellungen zu äußern und Ideen einzubringen. Es musste auch eine Form gefunden werden, die agil ist, also nicht statisch aufgesetzt, und wirklich auf Interaktion aufbauend. Das war die Aufgabenstellung, mit der wir angetreten sind, und das ist uns auch gelungen, indem wir einerseits klare Regeln etabliert haben, andererseits auch Freiraum für Ideen geschaffen haben. Dabei spielte der Gedanke, eine Kultur des lebendigen Austauschs auf Augenhöhe zu etablieren, eine wesentliche Rolle.

Durch die gemeinsame Arbeit im Workshop haben wir wichtige Impulse erhalten, die in der weiteren Planung auch berücksichtigt werden.

Michael Specht
Projektleiter

Das heißt, es wurden gemeinsam Ideen entwickelt, die in die Planung der Fakultätenblöcke aufgenommen wurden?

MS: Ja, tatsächlich war das das Ziel. Man darf sich das allerdings nicht als eine Art Happening vorstellen, in der wild drauflos kreiert wurde. Es wurde von vornherein ein Rahmen gesetzt, von welchen Prämissen grundsätzlich auszugehen sei. Sprich, welche baulichen Vorgaben zu berücksichtigen seien, welche Rolle organisatorische Rahmenbedingungen spielen, wie der Zeitplan aussah und natürlich auch die monetären Voraussetzungen. Die Fragestellungen, die diskutiert wurden, bezogen sich darauf, wie diese Prämissen mit Leben gefüllt werden können. Dabei kamen sehr interessante Ergebnisse heraus, die ohne die Workshops wahrscheinlich gar nicht zustande gekommen wären.

Herr Lüdrichsen, wie haben Sie die Workshops wahrgenommen? 

TL: Zunächst waren wir positiv überrascht, wie viele auf das Angebot, sich zu beteiligen, tatsächlich reagiert haben. Coronabedingt mussten wir in Bezug auf die Anzahl der Teilnehmer beim zweiten Workshop allerdings Abstriche machen. Die zweite positive Erfahrung war die Art und Weise, wie sich die Einzelnen engagiert haben und es uns im gemeinsamen Arbeiten tatsächlich gelungen ist, etablierte Denkmuster und Strukturen hinter uns zu lassen. Dadurch ist es gelungen, sehr konstruktiv auf inhaltliche Fragestellungen einzugehen und sehr brauchbare Ergebnisse zu erarbeiten. 

Können Sie ein Beispiel hierfür nennen? 

MS: In den neuen Fakultätenblöcken wird es keine einzelnen Fachbibliotheken mehr geben. Stattdessen werden alle Bereiche in einem offenen Verbund angeordnet sein. Dagegen gab es teilweise sehr starke Bedenken. Manche sehr grundsätzlicher Art, manche sehr pragmatisch. Wie weit zum Beispiel in Zukunft die Seminarräume von der Bibliothek entfernt sein würden, war eine wichtige Frage. Durch die gemeinsame Arbeit im Workshop haben wir wichtige Impulse erhalten, die in der weiteren Planung auch berücksichtigt werden.

TL: Aus unserer Sicht ist das ein sehr wichtiger Punkt. Wir wollten von Anfang an verhindern, dass Planungen zustande kommen, die möglicherweise hohen architektonischen Ansprüchen genügen, aber im schlimmsten Fall mit den eigentlichen Nutzerinteressen wenig zu tun haben. Diese Gefahr ist bei jedem Projekt latent vorhanden. Der Weg, den wir beschritten haben, ist eine sehr effektive Art und Weise, dies zu verhindern. Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Auch intern sind wir an einem konstruktiven Umgang mit den Betroffenen interessiert. Indem wir bewusst eine Beteiligungskultur etablieren, die allen Beteiligten das Gefühl vermittelt, mit ihrem Einsatz tatsächlich etwas zu erreichen, erhöhen wir die Akzeptanz für das Projekt. Wir haben einen festen Zeitplan. Unser ureigenes Interesse ist es, diesen Zeitplan umzusetzen. Der Schulterschluss mit den Nutzern ist hierfür der geeignete Weg.

Wird sich die Beteiligung in der Form fortsetzen?

MS: Was die Generierung von Ideen seitens der Nutzer angeht, ist mit Vorlage der Vorplanungsunterlagen das erste Etappenziel erreicht. Das Projekt geht dann in die nächste Phase über, in der das Miteinander der diversen Planer im Mittelpunkt stehen wird. Der Nutzer wird jedoch weiterhin in die Kommunikation eingebunden werden.  

Was ist geplant?

TL: In der zurückliegenden Phase gab es eine Art Regelwerk, wie in Bezug auf die Kommunikation miteinander umzugehen sei. Dabei spielte der Gedanke der Agilität, der Kooperation, der Transparenz und auch der offenen Fehlerkultur eine große Rolle. Diese Paradigmen möchten wir auch in der nächsten Projektphase etablieren, unter anderem in Form einer digitalen Plattform, die für den Austausch von Informationen, aber auch den Meinungsaustausch und Diskussionen zur Verfügung stehen soll. Die Kommunikationskultur, die wir in den zurückliegenden Monaten ausgebaut haben, möchten wir mit anderen Mitteln fortsetzen.

MS: Wir begrüßen das. Wir sind ein Unternehmen, das seit Jahrzehnten den generalistischen Ansatz in der Projektsteuerung propagiert und der echten Generalplanung große Bedeutung zumisst.  Kommunikation spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle. Sie hilft, Prozesse zu optimieren, und trägt damit wesentlich zum Erfolg eines Projektes bei. Offen zu sein für neue Methoden und Tools, die in anderen Branchen schon längst gang und gäbe sind und auf mehr Agilität und Transparenz setzen, ist für mich ein Zeichen von Professionalität. Auch das aktive Netzwerken bzw. die interdisziplinäre Kooperation – wie in diesem Fall mit dem Team von Frau Eisenschmidt – gehören für mich dazu. Was zählt, ist das Ergebnis. 

KE: Das kann ich nur bestätigen. Die Immobilienbranche hinkt in puncto agile Beteiligungskultur und der offensiven Einbeziehung der Nutzerperspektive anderen Branchen hinterher. Auch bei der Frage, wie in den unterschiedlichen Projektabschnitten mit Fehlern umgegangen wird und was dies mit mehr Effizienz und besseren Ergebnissen in der Zusammenarbeit von Teams zu tun hat, ist noch viel Luft nach oben. Umso positiver ist es zu werten, wenn innovative Vorstöße wie die in diesem Projekt prompt von Erfolg gekrönt sind. 

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Brauburger
Brauburger con.sulting 

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